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Quelle: themoviedb.org

Inhalt

Slavoj Žižek hat (mindestens) zwei große Leidenschaften: Das Kino und die Psychoanalyse. Was liegt da näher, als Hollywood – das Theater der Träume – auf die Couch zu legen? Für die Regisseurin Sophie Fiennes hat Žižek seine Lieblingsszenen aus etwa vierzig Klassikern (von Charlie Chaplin, Alfred Hitchcock, David Lynch u. v. a.), ausgewählt, die er in diesem Film – oft an Originalschauplätzen – mit dem begrifflichen Instrumentarium von Freud und Lacan analysiert: Inwiefern korrespondiert die Architektur des Hauses von Norman Bates (Psycho) mit Freuds Strukturmodell der Psyche? Was hätte der Entdecker des Ödipus-Komplexes zu dem Konflikt zwischen Luke Skywalker und Darth Vader gesagt?

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Quelle: themoviedb.org

Kritik

In einer der berühmtesten Szenen des Science-Fiction-Meilensteins "Matrix" wird Neo von Morpheus vor die Wahl gestellt. Entscheidet er sich für die blaue Pille, kehrt er in die von der Matrix konstruierte Scheinwelt zurück und lebt ahnungslos wie bisher weiter. Die rote Pille hingegen wird ihm die Augen öffnen und die reale Welt zeigen, wie sie in der Zukunft mittlerweile existiert. In der Dokumentation "The Pervert's Guide to Cinema" von Regisseurin Sophie Fiennes ("Over Your Cities Grass Will Grow") aus dem Jahr 2006 wiederholt sich diese Szene, allerdings mit einem markanten Unterschied. Nach einem Schnitt sitzt nicht mehr Keanu Reeves ("John Wick") als Neo im Sessel vor Morpheus, sondern der slowenische Philosoph und Kulturkritiker Slavoj Žižek ("Zizek!"), der erklärt, dass er gerne die Wahl einer dritten Pille hätte, die nicht zwischen Realität und Illusion trennt, sondern für die Illusion innerhalb der Realität selbst empfänglich macht. 

Dieses Beispiel ist nur der Auftakt einer ganzen Reihe von Szenen, in denen Žižek mithilfe von psychoanalytischen Theorien nach Jacques Lacan unterschiedliche Filme genau unter die Lupe nimmt, einzelne Elemente anhand dieser Thesen untersucht und im Gegenzug wesentliche Grundsätze der Psychoanalyse durch ausgewählte Filmszenen belegt. "The Pervert's Guide to Cinema" ist eine Reise durch die gesamte bisherige Filmgeschichte, widmet sich vor allem den ganz großen Klassikern, welche jedem Cineasten weitläufig bekannt sein dürften und ermöglicht durchgehend völlig neue Betrachtungsweisen und Lesarten. 

Wer sich schon immer gefragt hat, wieso die Vögel aus Alfred Hitchcocks ("Marnie") gleichnamigen Film die Menschen angreifen, erhält hier direkt drei verschiedene Theorien. Desweiteren gibt es unter anderem aufschlussreiche Erkenntnisse über die verstörenden Vaterfiguren aus den düsteren Albtraumwelten von David Lynch ("Mulholland Drive"), weshalb die Säuberungsszene nach dem berüchtigten Mord unter der Dusche in "Psycho" weitaus beeindruckender ist als der eigentliche Akt der Tötung sowie Begründungen für die überaus provokante Aussage, nur eine tote Frau sei eine gute Frau. 

Aus dem Mund eines anderen hätte "The Pervert's Guide to Cinema" leicht zur trockenen Unterrichtsstunde wie aus finstersten Schulzeiten werden können, doch der eigentliche Star der Dokumentation ist Žižek selbst, der wild gestikulierend, oftmals nach Worten ringend und unter allerhöchstem Eifer förmlich in Raserei verfällt und seine kopflastigen Gedankenspiele mit ordentlich Feuer, gelegentlichem Humor und viel Charisma ausdrückt. Die eigentliche Regisseurin der Dokumentation rückt dadurch zwangsweise völlig in den Hintergrund, weiß aber genau, wie sie den kaum zu bremsenden Žižek zu inszenieren hat. Neben den eigentlichen Filmszenen, die stets zur Veranschaulichung dienen, reist der Philosoph an Originalschauplätze und Drehorte aus den jeweiligen Filmen oder taucht gleich persönlich in den einzelnen Szenen auf, indem die Sets täuschend ähnlich im Studio nachgebaut wurden und Žižek mit der vertrauten Umgebung bekannter Klassiker verschmelzen lassen. 

Leichte Kost ist "The Pervert's Guide to Cinema" dabei nicht immer, denn viele der hier geäußerten Theorien und Gedankengänge sind überaus komplex. Man muss der Dokumentation über die üppigen 2,5 Stunden Laufzeit hinweg vollste Aufmerksamkeit schenken, sollte natürlich ein gewisses Maß an Interesse für die tiefergehende Psychoanalyse an den Tag legen und für ungewöhnliche Konzepte aufgeschlossen sein. Wer diese Voraussetzungen mitbringt, wird viele der hier analysierten Werke mit ganz neuen Augen betrachten, unter Umständen beiläufig übergangene Fortsetzungen wie "Alien – Die Wiedergeburt" umgehend noch einmal sehen wollen und allgemein erfrischende neue Herangehensweisen an einzelne Szenen unterschiedlichster Meilensteine oder Klassiker erhalten. Und so ist das Schlussplädoyer von Žižek folgerichtig auch ein Plädoyer für das Kino selbst. Nur im Kino begegnet man der entscheidenden Realität, die sich im normalen Leben nicht konfrontieren lässt. 

Fazit

Auch wenn "The Pervert's Guide to Cinema" stellenweise äußerst komplex wirkt und wiederholte Sichtungen fast schon einfordert, erhält der aufgeschlossene und konzentrierte Cineast mit dieser Dokumentation unterhaltsame, aufschlussreiche und zutiefst interessante Betrachtungsweisen zu bedeutenden Klassikern der Filmgeschichte. Dem einzigartigen Charisma von Slavoj Žižek wird sich kaum jemand entziehen können und der slowenische Philosoph sorgt dafür, dass "The Pervert's Guide to Cinema" eher zur alternativen Erhellung anstelle von trockenem Schulunterricht verkommt.

Kritik: Patrick Reinbott

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