Inhalt
In Indonesien hält eine vierköpfige Gruppe von Attentätern die organisierte Kriminalität in Schach, wodurch sie sich mit ihren Erfolgen den landesweiten Ruf als „The Big Four“ erarbeitet hat. Ausgebildet wurde dieses Team vom älteren Mann Petrus, der sich nach einem letzten Coup in den Ruhestand begibt und kurz darauf von einem Mann mit Motorradkleidung angegriffen wird. Seine Tochter und Polizeiabsolventin Dina kann später nur noch den Tod feststellen. Drei Jahre später haben sich die „Big Four“ getrennt und Dina nimmt auf Empfehlung der Polizei einen Urlaub auf der Insel Bersi. Schon bald nutzt sie ihre freien Tage für die Spurensuche nach dem Mörder ihres Vaters, womit sich die Wege mit den vier berüchtigten Mitgliedern kreuzen.
Seit dem 15. Dezember 2022 auf Netflix abrufbar.
Kritik
Bereits mit „Headshot“ und „The Night Comes For Us” hat Regisseur Timo Tjahjanto sein Fachgebiet ausgiebig veranschaulicht: Beinharte Nahkämpfe und Schusswechsel begleitet von dynamischen Kamerabewegungen und ein gehöriger Splatter-Faktor mit Frakturen, zerfetzten Körpern und herausströmenden Blut. Die ausgestalteten Actionpassagen sind damit mitreißend und lassen einen des Öfteren zusammenzucken, doch als Drehbuchautor arbeitet er mit simplen Handlungen und Charakteren, deren jeweiliges Profil nur wenig Tiefe beinhalten. Des Weiteren stellt er die Protagonist:in ins Visier einer sich rächenden kriminellen Organisation, die ihn oder sie über mehrere Schauplätze jagt und im Zuge der ausführlichen Gegenwehr wird die Struktur der gegnerischen Gruppe Stück für Stück gewaltsam aufgelöst. Diesem Erzähltemplate bleibt sich Tjahjanto auch in seinem neuesten Streifen The Big Four treu.
So verwendet die Handlung das Kernelement von „Headshot“ – einer Gruppe von vier schrägen Attentätern, die als Einzelkinder von Petrus (Budi Ros, V/H/S/94) aufgenommen worden sind – und vermischt es nun mit Krimi, Comedy und selbstverständlich Action. Weiterhin werden Filme wie „Mission: Impossible“ und „The Suicide Squad“ zitiert – Zeitlupenaufnahmen von den gegenüberstehenden Ensembles als kleiner Wink und der Coolness wegen. Doch abseits der Samples bewegt sich der Film in seinem Genredreieck wenig elegant. Dies macht sich vor allem auf der musikalischen Ebene bemerkbar: Funk-Musik für erzwungene Comic-Relief-Momente springt schlagartig auf ernste Töne beim Antagonisten um und für emotionale Szenen werden auch noch die Streicher herausgeholt. Visuell wechselt der Film sich zudem mit Brutalität, Schwarzweiß-Bildern aus der Vergangenheit, Netflix-typischen Sepia-Sonnenuntergang und Urlaubsatmosphäre ab, wodurch The Big Four tonal wild herumspringt.
Petrus‘ Attentäter-Gruppe hat ihre gewisse Sympathien und erinnert mit ihren Possen an das Suicide Squad, nur ein Mitglied namens Pelor (Kristo Immanuel) wirkt dermaßen nervig und tollpatschig in seinen Momenten, dass eigentlich von „The Big 3+1“ die Rede sein müsste, so wie er ständig aus der Patsche gerettet werden muss. Der kühle Leader Topan (Abimana Aryasatya, The Night Comes for Us) und die Sprengstoff-Tüftlerin Alpha (Lutesha, May the Devil Take YouToo) machen dabei eine solide Figur, doch der waffenvernarrte Scharfschütze Jenggo (Arie Kriting) steht sinnbildlich für den geschmacklosen Humor, den der Film an den Tag legt. Hier zwei Beispiele: Die Mündung seines mit einem Frauennamen getauften Scharfschützengewehrs wird in einer Pointe zum Anus einer Frau umfunktioniert und anderswo müssen in einer Hütte zwei Blasrohrpfeile unbedingt in Dinas Pobacken geschossen werden, damit sie von einem Rauschzustand befreit wird. Da kann man sich nur fragen, ob die Drehbuchautoren zu Beginn des Jahres den Netflix-Film „Photocopier“ überhaupt gesehen haben, in dem der Tatbestand des sexuellen Übergriffs im Zentrum der Handlung steht und dabei in Indonesien spielt. Solche Witze sind einfach kontraproduktiv.
Immerhin beherrscht Tjahjanto sein Handwerk in den kreativen Kampfpassagen. Diese haben einen schönen Flow, nur müssen für einige Schusstreffer explodierende Farbbeutel mit roter Farbe sichtbar hinhalten. Frakturen werden weniger eingesetzt, dafür explodieren etliche Körperteile oder gleich ganze Menschen. Leider kommt die CGI dabei nicht gut weg, wobei einige Tode so brutal sind, sodass die hauseigene Altersempfehlung bei Netflix ab 16 Jahren eher aus Vermarktungsgründen getroffen worden ist. Die Action lenkt dankenswerterweise von dem blödelnden Humor ab und in wenigen Bildern gelingt dem Film eine gute Mischung mit der Comedy durch schnelle Kameraschwenks oder einem „Ich bin hier gerade beschäftigt“-Moment. Weniger ablenken tut dies von der ausufernden Laufzeit von 141 Minuten, denn im Mittelteil hält sich der Film mit dem mühseligen Zusammenfinden des Quartetts auf und ein Aufklärungsgespräch zwischen Dina und den „Big Four“ wird mehrfach aufgeschoben. So bewegt man sich inhaltlich behäbig und visuell kontrastreich auf ein Finale zu, das mit einem weiteren, dahingeworfenen Filmsample ein Sequel andeutet. Tjahjanto darf dann den Nachfolger gerne „The Big Four 2“ nennen, wenn er das Drehbuch ordentlich reduziert oder am besten gleich einer anderen Person überlässt und diese Art von Humor beiseiteschiebt.
Fazit
Inspiriert von seinen vorangegangenen Action-Krachern sowie Agenten- und Antihelden-Ensembles probiert sich Regisseur Timo Tjahjanto in „The Big Four“ an einer knallharten Action-Krimi-Komödie, die deutlich zu lang und ein tonales Durcheinander geworden ist. Ausgerechnet der neu hinzugefügte Humor grätscht mit diversen Blödeleien und Sexismus in den überschaubaren Racheplot hinein. Die Darsteller geben, bis auf zwei Figuren, eine ordentliche Performance ab und die intensiven Kämpfe sind der große Pluspunkt des Films, wenn auch die digitalen Effekte die Präsentation trüben.
Autor: Marco Focke