MB-Kritik

Stella. Ein Leben. 2023

Drama, War

Paula Beer
Bekim Latifi
Damian Hardung
Joel Basman
Maeve Metelka
Nadja Sabersky
Julia Anna Grob
Alexander Martschewski
Vincent Koch
Konstantin Gries
Katja Riemann
Lukas Miko
Joshua Seelenbinder
Max Schimmelpfennig
Moritz Führmann
Katja Bürkle

Inhalt

Berlin, August 1940. Die 18-jährige Stella Goldschlag und ihre Freunde leben für den Jazz. Ihr größter Wunsch: ein Engagement in New York, der Stadt, in der die Musik von Cole Porter und Louis Prima zu Hause ist. Stella träumt von schönen Kleidern und einer Karriere als Jazzsängerin. Sie sehnt sich danach, dem Krieg und den Gefahren in Deutschland zu entkommen. Als Tochter jüdischer Eltern ein Traum, der wenig Chancen hat, wahr zu werden.

Kritik

Dass Kilian Riedhof augenscheinlich seine Schwierigkeiten damit hat zu erkennen, wer in einer Konstellation das Opfer ist und wer sich als solches inszeniert, zeigte bereits sein ebenfalls nach realen Begebenheiten konstruiertes letztes Werk. War es in Meinen Hass bekommt ihr nicht noch die Grenze zwischen unmittelbar Betroffener und Sympathie-Spekulant, die der Regisseur und Co-Drehbuchautor verwischte, ist es nun die zwischen Opfern und Tätern, Verfolgten und Kollaborateuren, Verratenen und Profiteuren. Der Plural ist nicht zufällig gewählt.

Die jüdisch Titelfigur (Paula Beer, Roter Himmel), die bereits in Doku-Dramen wie Die Unsichtbaren auftauchte, ist auf der Leinwand eine von vielen. Mit jungen Gleichgesinnten, darunter ihr späterer Biograph Peter (Joel Basman, Lubo) tanzt Stella Goldschlag zu Swing, mit dem sie in den USA groß rauszukommen hofft, und bagatellisiert alarmierende Meldungen. Drei Jahre später als Rüstungsarbeiterin erhält nicht nur sie Schwarzmarkt-Ware und Sonderbehandlung vom Aufseher. Und ihren moralischen Abstieg initiiert die Liaison mit Profifälscher Rolf Isaakson (Jannis Niewöhner, Napoleon).

Seine Hauptaufgabe in der eifrig um Empathie mit der perfiden Protagonistin werbenden Handlung ist, ihre Taten zu relativieren. Sie denunziert jüdische Mitmenschen, um ihre Eltern (Katja Riemann, Der Überfall, Lukas Miko, Me, We) zu schützen, er zum Spaß. Nachdem die Nazis sie schnappen und als sogenannte Greiferin einsetzen, liefert sie absichtlich schlechte Resultate, er hingegen protzt, er könne einen „ganzen Zug voll machen“. Sie quälen Gewissensbisse, wenn sie Freund*innen ans Messer liefert, er lacht hämisch, selbst im Bombenhagel. 

Während die hunderte Denunzierten großteils gesichtslos und anonym bleiben, widmet sich der Plot ausgiebig Stellas Unbehagen in ihrer komfortablen Kollaboration. Dass all die angeblichen Selbstmarter nie zur Besinnung führt, interpretiert die selektive Story als Alternativlosigkeit. Die Vorteile, die ihr Gestapo-Einsatz ihr verschafften, werden durch Kleidung und Auftreten nur flüchtig angedeutet. Ebenso eine spätere „Wandlung“ zur Antisemitin, die vielleicht keine Wandlung war, sondern nur eine Selbstdemaskierung. Nahe an einer solchen ist auch der fragwürdige Film.

Fazit

Das Fazit, die von Paula Beer mit Hang zur Melodramatik verkörperte Hauptfigur sei zugleich Opfer und Täterin, steht paradigmatisch für die Relativierung individueller und kollektiver Schuld in Kilian Riedhofs Biopic. Dessen in den fadenscheinigen Kulissen einer Vorabendserie aufgeführter Plot exkulpiert indirekt Nazi-Helfer als korrumpiert durch ein „unmenschliches System“ und präsentiert die Protagonistin zugleich als Paradefigur eines Netzwerks jüdischer Kollaborateure. Diese dramaturgische Verschiebung historischer Verantwortung spiegelt auffällig das gegenwärtige Ausnutzen weltpolitischer Ereignisse zur Rechtfertigung antisemitischer Ressentiments.

Autor: Lida Bach
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