Inhalt
Die Waisenkinder Virginia, Elisabeth und Ralph Merrys leben seit dem Tod ihres Vaters unter der Obhut dessen ehemaligen Chauffeurs Bruno noch immer auf dem einst luxuriösen Anwesen der Familie. Die fast erwachsenen Merrys-Kinder leiden an einer seltenen Erbkrankheit, die ab dem 10. Lebensjahr zur einer degenerativen Entwicklung führt, die von Intellektminderung in entmenschlichte Wildheit und sogar Kannibalismus gipfelt. Als plötzlich entfernte Verwandte auftauchen um das Familienerben abzugreifen, erleben die ihr blaues Wunder…
Kritik
Ein oftmals vergessener Klassiker des Low-Budget-Horror-Kinos von Jack Hill (Foxy Brown), der seine Karriere in den späten 50ern/frühen 60ern – u.a. gemeinsam mit einem gewissen Francis Ford Coppola (Der Pate) – in der Learning-by-Doing-Ausbildung im Kollektiv von Roger Corman (Das Pendel des Todes) startete. Nachdem er 1963 für Corman’s The Terror – Schloss des Schreckens das Drehbuch lieferte und im selben Jahr auch an Dementia 13 von seinem ehemaligen Klassenkameraden Coppola mitschrieb, folgten 1966 zunächst sein Regiedebüt Mondo Keyhole und direkt im Anschluss eben jener Spider Baby, bei dem sich sowohl unverkennbar die Spuren der eigenen Vorbilder und Lehrmeister wiederfinden, aber gleichzeitig so viele eigene, teils radikale Idee aufgefahren werden, dass er selbst wiederum als Inspirationsquelle etlicher Genre-Regisseure der Zukunft genannt werden muss (und mitunter auch von eben jenen wird).
Neben dem wilden munter-drauf-los-und-keine-Hemmungen-Stil der damaligen Corman-Filme zitiert Jack Hill mal sehr direkt, mal nur durch die Blume aber dennoch kaum zu leugnen William Castle (Macabre), Herschell Gordon Lewis (Blood Feast), James Whale (The Old Dark House) und sogar Alfred Hitchcock (Psycho); liefert liebevolle Querverweise an Horrorfilm-Klassiker der 20er-, 30er- & 40er-Jahre sowie das damals moderne Genre-Kino und geht trotz dieser Verbeugung und extrem eingeschränkter Mittel immer noch den entscheidenden Schritt weiter. So weit, dass es womöglich Tobe Hooper’s Blutgericht in Texas, Wes Craven’s Das Haus der Vergessenen und ganz sicher kaum einen Film von Rob Zombie (The Devil’s Rejects; dass dessen Stammdarsteller Sid Haig hier ebenfalls mitspielt hat wohl auch seine Gründe) ohne diese Inspirationsquelle und Wegbereiter jemals gegeben hätte. Besonders Zombie’s Hang zum skurrilen „Familienfilm“ scheint aus dem Netz von Spider Baby gewoben, nur in seinen Händen und gut 40 Jahre später natürlich noch um einiges drastischer.
Wenn ein (zumindest einseitig) erbschleichendes, raffgieriges Geschwisterpärchen samt ihres linken Winkeladvokaten (mit flottem Hitler-Bärtchen) und dessen hübscher Horrorfilm-Groupie-Sekretärin sich den Nachlass weit entfernter Verwandter unter den Nagel reißen wollen, ahnen diese noch nicht, dass sie es unfreiwillig auf einen durch generationsübergreifend zu intimes Paarungsverhalten, Wahnsinn und generell wohl unglückliche Gen-Konstellationen völlig aus dem Ruder gelaufenen Schlund der Hölle abgesehen haben. Am Anfang reißen sich noch alle so gut es geht am Riemen, servieren artig halluzinogenes Pilz-Soufflee an gegrillter Katze und Rasen-Rohkost und lassen die wirklichen Kracher der Familie noch höfflich im Keller eingesperrt, damit der Besuch nicht sofort aufgefressen wird. Aber allein mit dem bändigen der gestörten Kinderschar hat der gute Bruno (Lon Chaney Jr., Die Folterkammer des Hexenjägers) schon alle Hände voll zu tun. Das kann unmöglich lange gut gehen, besonders wenn noch Virginia’s achtbeinigen Haustiere daher gekrabbelt kommen und Kindskopf Ralph (Sid Haig) von den aufgestauten Hormonen überwältigt wird.
Im Rahmen (und wirklich nur darauf gemünzt) trashig-urigen Autokino-Futters haut Jack Hill tatsächlich einen kleinen Klassiker seiner Zunft heraus, der liebevoll mit Referenzen um sich wirft, sogar auf Meta-Ebene sehr smart mit der Kenntnis des Publikums spielt (eine von Lon Chaney’s direkt erwähnten, berühmtesten Rollen weckt urplötzlich zusätzliche Erwartungshaltungen, als wenn da nicht schon genug los wäre) und dabei selbst das Genre maßgeblich prägen sollte. Die Mischung aus grotesker, makabrer Komik und garstiger Gewalt ist für damalige Verhältnisse experimentell und äußerst gewagt, verkommt aber nie zur geschmacklosen Gore-Show. Dafür sitzt dem Film zu sehr der Schalk im Nacken, nie wird blutgierig draufgehalten und kein handfestes Ins-Gras-Beißen ist zu dramatisch um nicht noch mit einem fetten Augenzwinkern versehen zu werden. Wer es schafft (Ende der 60er in den USA!) Themen wie Inzucht, Kannibalismus, (angedeutete) Vergewaltigung, SM-Sexspielchen, Meuchelmord, Wahnsinn ohne das der Arzt kommt und sogar (ebenfalls nur angedeutet) Nekrophilie ohne ernsthafte Magenverstimmungen mit einem dicken Anstrich Ironie und flotter Unterhaltung zu erzählen, der hat irgendwas verdammt richtig gemacht. Bevor so was überhaupt denkbar schien. Übrigens: Toller Titelsong!
Fazit
Ein ganz feines Kleinod des Horrorfilms voller schräger Einfälle, cleverer Weiterentwicklungen klassischer Grundlagen und einem bitter-bösen Humorverständnis, das dabei aber nie wirklich unangenehm aus der Reihe tanzt. Allein das ist so verdammt schwierig. Wer kreativen, ironischen Low-Budget-Horror vergangener Tage mag, kommt an diesem stillen Riesen nun wirklich kaum vorbei. Und grundsätzlich niemand, der das Genre in seinen Zusammenhängen und Schnittstellen mal genauer unter die Lupe nehmen will.
Autor: Jacko Kunze