Das Label BILDSTÖRUNG hat sich in den vergangenen Jahren zu einer wahren Fundgrube für Filmfans entwickelt, die gerne über den Tellerrand des Mainstream hinausschauen. Man kann ihnen dafür nur dankbar sein, sind sie doch verantwortlich für etliche DVD- und Blu-ray-Veröffentlichungen auf dem deutschen Markt, um die andere Verleihe aufgrund der kommerziell wenig vielversprechenden Aussichten einen weiten Bogen machen. Auf ihr Konto gehen Exemplare wie das surreale Coming-of-Age Märchen „Valerie – Eine Woche voller Wunder“ (1970), das sinnliche Vampirdrama „Blut an den Lippen“ (1971), das verstörende, Mark und Bein erschütternde Meisterwerk „Im Glaskäfig“ (1986) oder das skurrile Kleinod „Bad Boy Bubby“ (1993). Alles Filme, die auf ihre Art extravagant und besonders sind, da reiht sich auch der griechische Film „Singapore Sling“ nahtlos ein, passt ideal in ihr Beuteschema. Polarisieren dürfte jeder der von ihnen aufgelegten Beiträge, dieser hier ganz besonders.
Regisseur Nikos Nikolaidis („The Zero Years“) erschafft zweifellos einen Film, den es so nicht alle Tage zu sehen gibt und für reichlich Diskussionsstoff sorgen kann. Vergleichbares gibt es wenig, es zu beschreiben ist schwierig, so was kann man eher nur selbst für sich erleben und versuchen, einen Zugang dazu zu finden, was eine Herausforderung darstellt. Stilistisch angelehnt an den Film noir, gespickt mit direkten Zitaten und Anspielungen an die großen Werke der schwarzen Serie (sogar als Hommage an den Otto Preminger Film „Laura“ angedacht, nicht zufällig auch der Name des „hoffnungslosen Falls“ des Protagonisten), gelingt Nikolaidis ästhetisch ein wahres Fest. In unvermeidlichen Schwarz/Weiß gedreht, mit einem Detektiv auf der Suche nach einem Mädchen, im stets prasselnden Regen, der Wind pfeift in nahezu jeder Szene (selbst bei Innenaufnahmen, sollten mal die Fenster zumachen). Unterlegt mit der entsprechenden Musik, den gekonnten Licht- und Schattenspielen und den notwendigen Grundmotiven glaubt man sich tatsächlich, nicht nur inhaltlich, sondern auch im Entstehungszeitraum irgendwo zwischen den 40er und späten 60er Jahren zu befinden, einen hervorragend inszenierte Illusion. Würde sich daraus jetzt wirklich „nur“ ein klassischer Film noir entwickeln, es wäre wohl alles in trockenen Tüchern, doch das hat Nikolaidis überhaupt nicht vor und somit werden die nächsten zwei Stunden ein echter Gratmesser, wo Kunst anfängt und aufhört, was man sich selbst zumuten möchte und in wie weit Experimentelles gleichzusetzten ist mit Qualität.
„Singapore Sling“ erinnert teilweise an David Lynch („Blue Velvet“), obwohl einige der dafür herangezogenen Arbeiten damals noch gar nicht entstanden waren (z.B. „Twin Peaks“ oder „Lost Highway“). Das mag jetzt wie eine Empfehlung klingen, doch genauso wie hier der Film noir nur eine grobe Richtung vorgibt, ist es mit diesen Vergleichen. Das Folgende ist eine merkwürdige Groteske, am ehesten noch als schwarze Komödie zu bezeichnen, die sich auch bei Elementen des Horrorfilms, Psychothrillers oder Exploitationfilms bedient, eingebettet in diese wunderschöne Präsentation. Sonst scheint der Regisseur nur dem Kredo zu folgen „Wer auffallen will, muss anders sein“ und so schafft sich der Film seinen ganz eigenen Regeln und Strukturen, was eine Weile sogar sehr reizvoll und faszinierend ist. Irgendwann ist es jedoch schwer, nur über die Schiene der Einzigartigkeit sein Publikum noch entsprechend abzuholen. Besonders, wenn es offensichtlich über reine Provokation geschehen soll, besonders im Bereich explizit vorgeführter Sexualpraktiken im teils lächerlichen Extrem. Bondage, Inzest, Kiwis frisch an der Mumu geraspelt, Ankotzen- und Pissen inklusive, da kann „Fifty Shades of Grey“ mal gleich einpacken. „Singapore Sling“ verfolgt dabei allerdings auch nur das Ziel, zu schockieren, zu verstören, was ihm kaum gelingt.
Das ist merkwürdig, mutig, deshalb noch lange nicht sinnvoll oder gar gut. Andere spezielle Methoden, wie das Durchbrechen der vierten Wand, wenn die Darsteller sich direkt an den Zuschauer wenden und die Geschehnisse rekapitulieren, sind zwar interessant, doch wie der gesamte Film nur ein Aufgreifen von fremden Ideen, selbst voran bringt es dieses Werk kaum. Gelegentlich kann der pechschwarze Humor sogar für ein Schmunzeln sorgen, sonst erschöpft sich das Ganze in seiner über Gebühr angewandten In-Your-Face-Methodik. Passend dazu das völlig überdrehte Finale, bei dem die vorher schon ausgiebig plattgetretene Metapher über sexuelle Ausschweifungen und einhergehende (Selbst)Zerstörung mit spitzer Klinge in den Arsch gerammt wird.