Obwohl Scharfe Täuschung bei seiner Premiere auf den Filmfestspielen in Venedig 1997 und auch beim offiziellen US-Kinostart im Januar 1998 recht anständige Kritiken erhielt, wurde der ambitionierte Thriller der Gebrüder Jonas & Josh Pate ein desaströser, finanzieller Flop. Weltweit spielte der Streifen nur knapp über 500.000 $ ein. Dass die Pate-Brüder danach nur noch sporadisch als Autoren und Produzenten im günstigen TV-Bereich auftauchten ist dahingehend leider logisch, aber damit nicht unbedingt gerechtfertigt. Denn eigentlich ist ihr erster (und einziger) gemeinsamer, mittelgroßer Gehversuch auf der Kinoleinwand im Großen und Ganzen absolut sehenswert ausgefallen. Stellenweise sogar mit so viel Potential versehen, dass er am Ende darüber stolpert. Der Film kann irgendwann den vorher aufgestauten Erwartungshaltungen nicht mehr im vollen Umfang gerecht werden, womit eine an sich solide Pointe einer Enttäuschung gleichkommt. Aber der Reihe nach, so viel Zeit hat er ohne Frage verdient.
Eine Prostituierte wurde ermordet, ja sogar in zwei Teile geschnitten und ihre Überreste an verschiedenen Orten platziert. Aufgrund einer bei ihr gefundenen Telefonnummer wird der Großunternehmer-Sohn James Wayland (Tim Roth, The Hit) zum Verhör zitiert. Er gibt zu, die Frau zufällig im Park getroffen zu haben, sonst scheint es keine Verbindung oder Indizien zu geben. Der mit über 20 Jahren Berufserfahrung ausgestattete Detectiv Kennesaw (Michael Rooker, Guardians of the Galaxy) und sein erst seit zwei Jahren in dem Job aktiver, eher simpel gestrickter Partner Braxton (Chris Penn, Reservoir Dogs) wolle den überheblichen Millionenerben mit einem Lügendetektortest entlarven. Kennesaw ist mit einem abgeschlossenen Psychologiestudium und einer 92%tigen Erfolgsquote bei diesem Verfahren nahezu unschlagbar, aber jeder trifft mal auf seinen Meister. Wayland hat ebenfalls einen College-Abschluss in Psychologie – summa cum laude. Der hochintelligente, undurchsichtige Unsympath hat offenkündig etwas zu verbergen, gleichzeitig seine beiden Gegenspieler blitzschnell analysiert. Lotet ihre Schwachpunkte aus und beginnt den Spieß schnell umzudrehen. Mit herkömmlichen Messwerten ist ihm nicht beizukommen, diese kann er eh manipulieren wie er will. Während des dreitätigen Nervenmarathons kommen so oder so alle Abgründe ans Tageslicht – auch die der beiden Cops. Die Frage ist, wer am Ende gegen wen genug in der Hand hat, um als Sieger vom Platz zu gehen.
Über 2/3 ist Scharfe Täuschung richtig gut, ein echter Geheimtipp. Inszeniert wie ein subversives, intrigantes Kammerspiel, mit vielen komplexen Plot-Ansätzen und einem extrem starken B-Cast versehen. Tim Roth war damals nicht nur eine der heißesten Nummern allein wegen seines Talents, sondern dank seines Tarantino-Hattricks in den 90ern auch noch inzwischen richtig prominent. Die oftmals unterschätzten, da gerne auch unterforderten Michael Rooker und Chris Penn dürfen sich erfolgreich ins Schaufenster stellen, dazu in Nebenrollen bekannte Gesichter wie Ellen Bursytn (Der Exorzist), Rosanna Arquette (Die Zeit nach Mitternacht), Michael Parks (From Dusk Till Dawn) oder Renée Zellweger (Judy). Ein trügerischer, heimtückischer, manchmal gar bipolarer Suspense-Thriller, der bewusst, aber geschickt versucht auf der Erfolgswelle von Die üblichen Verdächtigen zu reiten. Besitzt sogar den besseren Ansatz, denn hier ist viel mehr möglich. Lange lassen die Gebrüder Pate es wie ein gewollt unvollständiges Puzzle erscheinen. Durch das interessant eingestreute Bild der Temporallappenepilepsie ergeben sich wahnsinnig viele Optionen. Ob perfekter Plan eines kriminellen Masterminds, eine böswillige Intrige, ein schizophrenes Jakyll & Hyde-Szenario, ein Spiel mit den Erwartungshaltungen oder am Ende doch nur eine Verkettung ungünstiger Zufälle? Scharfe Täuschung ist lange so faszinierend, weil er enorm viel anbietet und möglich lässt. Sogar die Vermutung offenlegt, dass er es bei einem spekulativen, diskussionsbereiten Finale belässt. Was in dem Fall großartig werden könnte.
Stattdessen gibt es leider eine ganz eindeutige Auflösung. Die an sich nicht wirklich schlecht, aber eben auch nicht beeindruckend ist. In dem Kontext sogar enttäuschend. Sehr konstruiert und durchkalkuliert, anstatt den Mut zu besitzen, den Zuschauer mit den eigenen Gedanken zu verabschieden. Der Punkt, der dem Film das gewisse Etwas verleihen würde, ist irgendwann erreicht und eigentlich dürfte nur das noch passieren. Der konventionelle, alles erklärende Abschluss hat einen negativen, sogar plumpen Beigeschmack. Courage, daran mangelt es auf den letzten Metern.