Sevilla, Sommer 1984. Rita und Lolo sind Brüder und Schwestern, sieben und fünf Jahre alt, und leben im Herzen einer bescheidenen Arbeiterfamilie. Rita träumt davon, an den Strand zu gehen, aber zu Hause ist das Wort ihres Vaters immer Gesetz. Zum ersten Mal beginnt Rita zu fragen, warum die Dinge so sind. Sie merkt auch, dass ihr Zuhause immer unsicherer wird, insbesondere für ihre Mutter.
Kritik
Es ist nicht einfach, Rita zu sehen und dabei nicht Paz Vega (Emperor), in mehr als einer Hinsicht. Die spanische Schauspielerin konstruiert ihren bitter-süßen Bilderbogen als Schaukasten ihrer eigenen Person, auf darstellerischer, narrativer, inszenatorischer und biografischer Ebene. Die siebenjährige Titelheldin, grandios gespielt von der Sofia Allepuz, die 1984 mit ihrem kleinen Bruder Lolo (Alejandro Escamilla) in einem respektablen Mittelschicht-Viertel des sommerlichen Sevillas aufwächst, ist unverkennbar ein fiktives Alter Ego der Regisseurin. Die revisioniert ihre eigene Kindheit.
Jene entfaltet sich auf der Leinwand durch spielerische Sinnlichkeit. Geräusche, Gerüche und Geschmäcker, kennzeichnen und konservieren die trügerisch unbeschwerten Momente. Ein Karussell auf dem Marktplatz, Mais Flips im Schwimmbad, Erdbeermilch in der Kneipe. Doch nicht alle Eindrücke sind angenehm in der süßlichen Sorglosigkeit, in die sich schleichend Bitterkeit mischt. Das Schreien des cholerischen Vaters (Roberto Álamo, The Longest Night), das blaue Auge ihrer Mutter Mari (Vega selbst), der Gips des Nachbarjunge (Daniel Navarro), mit dem Rita nicht spielen soll.
Erst 1981 legalisiert, ist Scheidung ein gesellschaftliches Stigma, das schwerer wiegt als häusliche Gewalt. Geschiedene Frauen sind suspekt, gewalttätige Männer bloß etwas eigen. Die sich immer beängstigender gegenüber den Kindern zeigende Aggression verharmlost sogar Maris Schwester (Amada Santos, Das Mädchen im Schnee), als sie von deren Scheidungsplänen erfährt. Paradoxerweise ist auch Vega zu beschäftigt, sich als perfekte Tochter, die Bruder und Mutter nach kindlichen Kräften unterstützt und drolliges Kind zu verklären, um dem vermeintlichen Kernthema ausreichend Raum zu geben.
Fazit
Zwischen Retro-Requisiten und pittoreskem Zeitkolorit gehen die ernsten Untertöne nahezu verloren, so verliebt ist Paz Vega nicht nur in die nostalgischen Details des quasi-autobiografischen Kinder-Kosmos, sondern ihre eigene Persona. Nur vereinzelt gelingt ihrem selbstverfassten Skript Naivität und Brutalität in wirkungsvollen zu vermischen und ausgerechnet der effektivste jener Momente tendiert unangenehm zu Victim Blaming. Statt die sozialen und systemischen Faktoren misogyner Gewalt zu ergründen, kokettiert die doppelte Selbstinszenierung als direktes und indirektes Opfer mit deren Trauma.