Quo vadis, Aida? - oder für alle ohne Latinum: Wohin gehst du, Aida? ist die zentrale Frage des Films und stellt Aida (Jasna Đuričić, Take Me Somewhere Nice) vor eine ähnlich schwere Frage wie Meryl Streep in Sophies Entscheidung. Aber Quo vadis, Aida? weist in gewisser Weise noch mehr Parallelen auf. Während Sophies Entscheidung die Judenverfolgung im Dritten Reich thematisiert, befasst sich Quo vadis, Aida? mit dem während des Bosnienkrieges (1992-1995) verübten Massaker von Srebrenica, dem schrecklichsten Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Unter der Führung von General Ratko Mladić, im Film gespielt von Boris Isaković (Circles), marschiert die bosnisch-serbische Armee in die Stadt ein, die eigentlich in einer durch niederländische Soldaten gesicherten UN-Schutzzone liegt. Die Bevölkerung flieht und sucht Schutz bei den UN-Blauhelmsoldaten. Doch nicht alle können in das UN-Lager.
Hier setzt die Handlung des Films ein. Quo vadis, Aida? ist kein klassischer Kriegsfilm mit blutigen epischen Schlachten, sondern beschäftigt sich mit den Opfern des Krieges – der Zivilbevölkerung. Die Nöte, Ängste und Leiden, aber auch aufkeimende Hoffnung werden eindringlich wiedergegeben. Auch wenn sich der Film hier hauptsächlich auf die (fiktive) Hauptfigur Aida fokussiert, ist für den Zuschauer die Dramatik der Situation deutlich zu spüren. Verstärkt wird diese Dramatik durch die überzeugend spielende Đuričić, die hier die volle Bandbreite der Schauspielkunst ausschöpft. Ihr stehen die Sorge um ihre Familie und auch die übrige Bevölkerung förmlich ins Gesicht geschrieben.
Regisseurin Jasmila Žbanić, die sich bereits in ihrem Langfilmdebüt Esmas Geheimnis – Grbavica thematisch mit den Schrecken der Kriege im ehemaligen Jugoslawien in den 90er-Jahren beschäftigt hat, verfolgt mit ihrem Film das Ziel, die damaligen Ereignisse in das europäische Bewusstsein zu rufen und die jüngeren Generationen hierüber aufzuklären. Eindringlich zeigt sie immer wieder, wie aus Freunden, Nachbarn, Kollegen und Schulkameraden plötzlich Feinde werden und man niemandem mehr trauen kann, wie etwa, wenn einer von Aidas ehemaligen Schülern sich nach der Familie und insbesondere nach ihrem Sohn erkundigt. Für den Zuschauer wird schnell klar, dass es sich hier nicht nur um ein freundliches Gespräch unter Bekannten handelt, sondern, dass andere (tödliche) Absichten hinter dieser Frage stecken. Immer wieder kommt es zu solchen Situationen, in denen sich Aida entscheiden muss, ob sie den anderen Personen trauen kann.
Der Film führt auch das damalige Versagen der Völkergemeinschaft vor Augen. Die versprochene Luftunterstützung bleibt aus und die Blauhelmsoldaten sind allein auf sich gestellt. Sie wissen, dass sie die Bevölkerung nicht schützen und auch nicht versorgen können, wodurch sie gezwungen werden einen Deal mit den bosnisch-serbischen Truppen einzugehen. Man merkt den niederländischen Soldaten ihre Hilflosigkeit und Verzweiflung an, wenn sie etwa mit ihren kurzen Hosen den schwer bewaffneten Truppen von General Mladić gegenüberstehen und diesen sowohl den Zutritt ins Lager als auch den Abtransport der Bevölkerung erlauben. Diese Hilflosigkeit zeigt sich etwa, wenn einem niederländischen Soldaten der Helm abgenommen wird, ohne, dass sich dieser wehren kann. Auch wenn im wahren Leben den beiden Offizieren Karremans (Johan Heldenbergh, Das brandneue Testament) und Franken (Raymond Thiry, Geheimcode M - Einer für alle, alle für einen) eine Mitschuld gegeben wurde, verzichtet Regisseurin Žbanić auf diese Schuldzuweisungen und stellt beide als verletzliche und verzweifelte Männer dar, die selbst von den Ereignissen überrannt werden.
Quo vadis, Aida? ist allein durch die bedrückende Atmosphäre schwere Kost, auch wenn der Film auf brutale, blutige Szenen verzichtet. Zugleich ist der Film ein wichtiger Beitrag zu Aufarbeitung dieser Kriegsverbrechen. Žbanić selbst sagt: „Wir würden alle davon profitieren, wenn keine Kriegsverbrecher mehr unter uns leben würden. Und wir würden alle davon profitieren, wenn die Gesellschaft diese Kriegsverbrecher nicht mehr glorifizieren würde.“ „Ich will Mythen über Nationen und Völker und Kriegsverbrecher zerstören“. Ihr Film ist jedenfalls ein wichtiger Beitrag zur Völkerverständigung, denn er ist nicht nur eine Kooperation von Produktionsgesellschaften aus acht Ländern, sondern auch das gesamte Team ist international besetzt, sogar mit Schauspielern aus Serbien und Bosnien-Herzegowina. Der Film war der bosnische Beitrag bei derdiesjährigen Oscarverleihung und unterlag hier dem dänischen Film Der Rausch.