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Eine französische Gruppe von Tänzern und Tänzerinnen mit Mitgliedern unterschiedlicher Hautfarbe sowie verschiedenen Geschlechts und sexueller Ausrichtung steht kurz vor einer Tournee durch die USA. Doch in der Turnhalle einer Schule, wo sie ihre Choreografien üben, muss das Ensemble zu seinem Schrecken feststellen, dass jemand offenbar ohne ihr Wissen eine Droge in die Sangria-Bowle gemischt hat. Die Gruppe tritt draufhin einen Trip in die Abgründe ihrer Existenz an, der die verstörten Teilnehmer in eine Hölle befördert, die aus einem Strudel von Tanz und Gewalt, Musik und Bewegung, Farbe und Spektakel, Leben und Tod besteht.

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Quelle: themoviedb.org

Kritik

In den Filmen von Gaspar Noé (Menschenfeind) spielten Ordnung und Struktur bislang stets eine untergeordnete Rolle. Der argentinische Regisseur, dem längst der Ruf eines polarisierenden Provokateurs anhaftet, ist vielmehr an einer Form von Kino interessiert, das nach dem puren Ausdruck des Transzendenten strebt. Im Verlauf seiner bislang gut 20 Jahre andauernden Karriere hat Noé lediglich eine Handvoll Filme gedreht, doch mit beinahe jedem davon ist es ihm gelungen, die bisherigen Möglichkeiten der Ästhetik des Mediums an neue Grenzen und somit gewissermaßen auch darüber hinaus zu treiben. Ein Werk wie Irreversibel, das die Regeln des Rape-and-Revenge-Films buchstäblich auf den Kopf stellte und dekonstruierte, war ebenso wie die schwerelose Reise durch Vergangenheit, Gegenwart, Traum sowie Lebenden- und Totenreich Enter the Void von einer ungemein inszenatorischen Radikalität und experimentellen Verspieltheit geprägt. Unbelehrbare Skeptiker, die dem Gegenwartskino eine Absage erteilen, da alles daraus schon einmal zu sehen gewesen sei, belehrt Noé mit seinem Fokus auf das stetige Vorantreiben der filmischen Ästhetik eines Besseren. 

Der Beginn seines 5. Langfilms Climax, der irgendwann in den 1990er-Jahren in Frankreich spielen soll und dem das Ende sowie der Abspann wieder einmal vorangestellt wird, scheint zunächst eine Rückbesinnung des Regisseurs auf dessen Wurzeln und Einflüsse zu markieren. Eine lange statische Einstellung zeigt einen alten Röhrenfernseher, auf dem abwechselnd aufgezeichnete Interviewsequenzen verschiedener junger Tänzer und Tänzerinnen zu sehen sind. Die werden vor allem danach gefragt, wo ihre persönlichen Grenzen liegen und was sie alles dafür tun würden, um berühmt zu werden. Interessant ist in dieser anfänglichen Passage vor allem der Bildrand, der links und rechts Bücher und VHS-Kassetten zeigt, die sicherlich direkt Noés Privatsammlung entliehen wurden. Zu sehen sind Filme wie Possession von Andrzej Żuławski, Suspiria von Dario Argento, Querelle - Ein Pakt mit dem Teufel von Rainer Werner Fassbinder, Ein andalusischer Hund von Luis Buñuel, Die 120 Tage von Sodom von Pier Paolo Pasolini oder Inauguration of the Pleasure Dome von Kenneth Anger. Allesamt Regisseure, in deren Tradition sich Noé selbst ideal einfügt. 

In Climax steht der ungewohnt lineare Anfang mit den gezeigten Interviewausschnitten hingegen für eine Ruhe vor dem Sturm, die das Enfant terrible kurz darauf mit seinem Stammkameramann Benoît Debie durchbricht. In der Handlung des Films findet die zuvor eingeführte Gruppe aus 24 Tänzern und Tänzerinnen in einem abgelegenen Saal einer Schule zusammen, um ungestört von äußeren Einflüssen miteinander für eine bevorstehende Tournee proben zu können. Unter ihnen ist Schauspielerin Sofia Boutella (Hotel Artemis) das einzige bekannte Gesicht innerhalb des kammerspielähnlichen Szenarios. Der restliche Cast besteht aus unerfahrenen Schauspielern, die auch in Wirklichkeit professionelle Tänzer sind. In einer geradezu ausufernden Sequenz, die keine Schnitte erkennen lässt und in der sich die gewohnt ruhelos schwebende Kamera dem Takt der jeweiligen Körper anzupassen versucht, entfesselt Noé sein Ensemble daher umgehend in einer kollektiven Tanz-Performance, die wilde Ekstase mit einstudierter Kontrolliertheit verknüpft. Mit einem Mal ist der Regisseur wieder bei seiner bevorzugten Form des Kinos angelangt, die den abstrakten Rausch aus Bewegung, Farben und Klängen auf schwindelerregend-hypnotisierende Weise hervorruft.

Während die konstante Melange aus pumpenden, dröhnenden Electro- und Techno-Beats auf der Tonspur niemals zur Ruhe kommt und der Soundtrack des Films daher einer unaufhörlichen Symphonie der Feierwütigen gleicht, verliert Noé in der ersten Hälfte des Films zwischenzeitlich den Kontakt zur Essenz seines eigenen Kinos. Mit Schnittfolgen, die wie auch schon in vorherigen Werken des Regisseurs dem Blinzeln des Auges gleichen, springt Climax von Tänzer zu Tänzerin und lotet sexuelles Verlangen, primitive Triebe sowie Eifersucht und Lästereien untereinander aus. Dabei bewegen sich die Charakterisierungen nie über bloße Randnotizen hinaus. Eine der jungen Frauen gesteht ihre Schwangerschaft und eine, die sich als Veranstalterin des Treibens herausstellt, war früher selbst einmal Tänzerin, bis sie vom Alter sowie der Geburt ihres Sohnes aus dem Rampenlicht gedrängt wurde. Wieder eine andere ist aus Berlin abgehauen, weil es dort einfach zu viele Drogen geben würde. Ermüdend statt berauschend verweilt der Regisseur zudem auf zwei schwarzen Tänzern, die ihre sexuellen Errungenschaften, Fetische und Wunschvorstellungen minutenlang erötern und sich gegenseitig dafür abfeiern. Das Problem hierbei ist, dass Noé Figuren mit Geschichten zu füllen versucht, wo eigentlich nur Körper als Skizzen existieren sollten. Bis die Drogen einsetzen. Was genau in die Sangria-Bowle vor Ort gemischt wurde, bleibt ungeklärt, doch die fatale Wirkung wird plötzlich umso konkreter. 

Mehr und mehr verlieren die Figuren in Climax die Kontrolle über ihre Körper, also darüber, wodurch sie sich primär definieren. Gemeinsam mit Regisseur Noé und Kameramann Debie stürzen sie in eine schier endlose Trip-Vorhölle. Erst ab diesem Moment scheint dem Filmemacher wieder bewusst geworden zu sein, dass er den Rausch nicht einfach nur abbilden, sondern sich mit dem Zuschauer mitten in diesen hinein begeben will. Als elektrisierendes Erlebniskino offenbart Climax spät, aber glücklicherweise nicht zu spät, doch noch eine überwältigende Ansammlung der audiovisuellen Sensationen. Ein LSD-Gewitter, in dem eine Texttafel ankündigt, dass der Tod eine außergewöhnliche Erfahrung sei. Wenn Boutella in Anlehnung an Isabelle Adjanis (Der Mieter) unvergessliche Performance aus Possession ebenfalls gegen ihren eigenen Körper kämpft und im Hintergrund die Klänge von Aphex Twins Windowlicker durch die Wände vibrieren, Figuren am Bildrand derartig miteinander verschmelzen, dass der sexuelle Akt nicht mehr von einem gewaltsamen zu unterscheiden ist, und die Kamera im unbeschreiblichen Finale vollends aus der Fassung gerät und nur noch geschlechterneutrale Schemen abtastet, kann einen nur noch das unaufhaltsame Ausbreiten eines gleißenden, alles verschlingenden Lichts aus diesem klaustrophobischen Albtraum geleiten. Mit einer erlösenden Wiedergeburt wie zuvor in Enter the Void hat diese apokalyptische Absolution jedoch nichts mehr gemeinsam.

Fazit

Gaspar Noé bleibt Gaspar Noé und schwingt sich mit "Climax" ein weiteres Mal dazu auf, die ästhetischen Grenzen des Kinos zu sprengen. In dem 95-minütigen Werk, bei dem eine Gruppe junger Tänzer und Tänzerinnen bei Proben aufgrund einer Droge in der Sangria-Bowle jeglichen Kontakt zur Realität und vor allem zu ihren Körpern verliert, hat die Bedeutung von Zeit sowie das Festhalten an rationaler Logik irgendwann keinen Wert mehr. Auch wenn der Weg dahin zuvor in der ersten Hälfte von redundanter, unnötiger Charakterisierung gestört wird, behauptet sich Noé mit seinem 5. Spielfilm erneut als einer der aufregendsten, audiovisuell beglückendsten Regisseure unserer Gegenwart.

Kritik: Patrick Reinbott

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