Dass die Bedürfnisse, denen ein Mensch in seinem Leben ausgesetzt ist, auch im fortgeschrittenen Alter gleichbleibender Natur sind, scheint für viele Menschen aus anderen Entwicklungsphasen oftmals unbegreiflich. Das grundlegende Spektrum der Sehnsüchte, rundum Sicherheit, Freundeskreis, Partnerschaft, Kommunikation und natürlich Sexualität, rührt an weitergehend belangvollen Themen wie Würde, Lebensqualität sowie Sozialdruck. Und wenn man gewillt ist, sich mit offenen Augen und klarem Verstand an den von Netflix produzierten und von Ritesh Batra (Café, Regular, Cairo) inszenierten Unsere Seelen bei Nacht heranzugehen, wird man feststellen, dass genau diese Themen und Bedürfnisse für den Film von hoher Bedeutsamkeit sind, umspannt von der ganz plump formulierten Frage: Wie lebt es sich denn eigentlich im hohen Alter?
Die beiden Senioren Louis (Robert Redford, Die drei Tage des Condor) und Addie (Jane Fonda, Das China-Syndrom) haben mit dem Tod ihrer Gatten schweren Herzens feststellen müssen, dass auch der Herbst des Lebens immer noch mit faustdicken Veränderungen aufwarten kann. Denn wo die vorherige Lebenswirklichkeit einer jahrelangen Selbstverständlichkeit unterlag, stehen Louis und Addie plötzlich ganz alleine da. Die andere Betthälfte scheint vor allem Addie ungewöhnlich kalt, was es ihr unmöglich macht, einen ruhigen Schlaf zu finden. Jene Einsamkeit, die sich in der Nacht besonders erdrückend gestaltet, führt Louis und Addie nach Dekaden des nachbarschaftlichen Aneinandervorbeilebens schlussendlich zusammen. Und natürlich entspricht genau das der humanen Logik des Films, denn geteiltes Leid ist halbes Leid.
Eines abends steht Addie dann vor Louis' Tür und fragt ihn, ob er mit ihr schlafen möchte. Wortwörtlich, wohlgemerkt, spart Unsere Seelen bei Nacht doch vorerst jede amouröse Anwandlung zwischen den Hauptdarstellern aus und zeigt sie als sich gegenseitig zugeneigte Zweckgemeinschaft, die die Kälte der anderen Betthälfte vertreiben wollen. Nach einigen Irritationen willigt Louis ein – und Unsere Seelen bei Nacht manifestiert sich als ein reifes, weltgewandtes Erwachsenen-Bettgeflüster, in dem zwei einsame Seelen endlich wieder verspüren dürfen, was es heißt, gebraucht zu werden. Dass die Besetzung der beiden Hauptdarsteller mit Robert Redford und Jane Fonda Methode hat, wird deutlich, wenn man einen Blick in die Vergangenheit wagt: Schon in Barfuß im Park und Der elektrische Reiter fanden die Hollywood-Koryphäen zueinander.
Unsere Seelen bei Nacht formuliert auf äußerst einfühlsame Art und Weise, wie die Angst eines Menschen davor aussehen kann, jedweden sozialen (oder besser: zwischenmenschlichen) Anschluss zu verlieren. Wie es ist, wenn sich die Nächte noch schwärzer präsentieren, seitdem die Liebe des Lebens beerdigt wurde. Seine besten Momente erschafft Ritesh Batra genau dann, wenn er Robert Redford und Jane Fonda vollkommen ungezwungen dabei belauscht, wie sie nebeneinander im Bett liegend ihr Leben rekapitulieren. Wenn er auf kleine Gesten achtet und das wachsende Vertrauen dokumentiert. Genau dann wachsen innerhalb der zaghaften Annäherungsversuche eine liebliche Romantik und Offenheit, die einen deutlich gefühlvolleren Niederschlag evozieren, als es die hier ebenfalls angesprochene generationsübergreifende Freundschaft oder Addies Beziehung zu ihrem Sohn (Matthias Schoenaerts, Blood Ties) vermögen.