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Klassiker von David Lean aus dem Jahre 1948 nach dem Gesellschaftsroman von Charles Dickens. Dem Trödler Fagin (Alec Guiness) und seiner Bande von Kindertaschendieben läuft der zehnjährige Waisenjunge Oliver Twist über den Weg, den sie schamlos ausnutzen. Bis Oliver einen netten Gentleman kennenlernt, der ihm helfen will.
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Quelle: themoviedb.org

Kritik

Oliver Twist gehört zu den bekanntesten Erzählungen von Charles Dickens und wurde dementsprechend häufig nicht nur für Film und Fernsehen adaptiert. Eine der besten aber auch kontroversesten Versionen ist die von Starregisseur David Lean (Lawrence von Arabien) aus dem Jahr 1948, die sich über weite Strecken eng an die literarische Vorlage hält, lediglich den Personenkreis etwas ausdünnt und dementsprechend einige Verbindungen abwandeln und komprimieren muss, im Kern aber versucht dem Geist von Dickens sorgfältig gerecht zu werden. Das gelingt so „gut“, dass der Film bei seiner Premiere heftiger Kritik ausgesetzt war und in einigen Ländern – darunter aus gutem Grund auch Deutschland – erst drei Jahre später in einer gut 15 Minuten kürzeren Fassung endgültig veröffentlicht wurde.

Stein des Anstoßes war die Darstellung der Figur des Fagin. Bereits in der Vorlage (wohl eher blauäugig) mit allerlei diskreditierenden, stereotypisch-(anti)semitischen Klischees ausgestattet, erregte die werkgetreue Umsetzung – neben den gierig-hinterlistigen Charakterzügen auch noch mit der übergroßen Hakennase das Bild des „hässlichen Juden“ bestätigend – heftige Proteste. Wohlgemerkt, nur wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, der den Genozid von sechs Millionen Juden mit sich brachte. Den Filmemachern kann wohl wirklich abgenommen werden, schlicht unüberlegt gehandelt zu haben, in dem man diese kritische Personalie nicht „kreativ“ abwandelte. Ein deutlicher Makel an einer sonst wirklich hervorragenden Leinwandadaption, bei der ausgerechnet das leicht groteske Spiel von Fagin-Darsteller Alec Guinness (Die Brücke am Kwai) herausragend-mutig ist, obwohl durch diese ganzen Begleitumstände in einen etwas merkwürdigen Kontext verschoben.

Handwerklich ist das mal wieder überragend. David Lean war wohl einer dieser Perfektionisten wie auch sein Landsmann Stanley Kubrick (Shining), der nicht einschlafen konnte wenn auch nur das geringste Detail nicht einwandfrei seinen Vorstellungen entsprach. Die Bildsprache ist sensationell. Von Anfang an sichtlich inspiriert vom expressionistischen, deutschen Kino der goldenen 20er könnte sein Werk praktisch mühelos auch als Stummfilm funktionieren. Die jeweilige Stimmung wird unmissverständlich über die exzellenten Bilder und das sagenhafte Setdesign vermittelt, selbst die immer wieder aufkeimende Präsenz des Todes hat sein ganz persönliches, inszenatorisches Erscheinungsbild. Kummer, Leid und viele Schicksalsschläge legen sich wie ein düsterer Schleier prophetisch auf den bemitleidenswerten Protagonisten (bemerkenswert: John Howard Davies, später eher hinter den Kulissen u.a. bei Monty Python tätig). Die bewusst nicht subtile, mehr als zeitgenössisches, Gesellschafts-kritisches Märchen angelegte Geschichte zieht dabei selbstverständlich alle emotionalen Register und schert sich um Ambivalenz nicht die Bohne. Die überwiegend skrupellosen Nebenfiguren kehren ihre moralische Hässlichkeit und verfettete Dekadenz ungefiltert in ihr äußeres Erscheinungsbild um, die wenigen Hoffnungsträger entblößen sich ebenso sofort, fehlt halt nur der Heiligenschein über den gutmütigen Gesichtern. Aber das soll ja auch so sein und diese Oliver Twist-Version kommt der angepeilten Wirkung ungemein nahe.

In knapp zwei Stunden (ungekürzte Fassung) treten auch nach heutigen Sehgewohnheiten keinerlei Längen vor, die detailversessene Inszenierung hat nichts von ihrem Reiz verloren und selbst wahre Suspense-Qualitäten kommen zum Vorschein, die man nicht unbedingt mit dem epischen Kino eines David Lean (oder auch den Geschichten von Dickens) assoziieren würde. Wie geschickt ab der Szene im „Three Cripples“ mit Spannungsmomenten hantiert wird, das besitzt mitunter locker echte Hitchcock-Qualitäten. Sicherlich nur für einen begrenzten Zeitraum, aber der Film verlangt es eigentlich nicht mal und ist dabei so gut, das ist äußerst respektabel und sollte an der Stelle zwingend gesondert erwähnt werden. In seinem eigentlichen Vorhaben ist Oliver Twist ohnehin absolut gelungen – das politische Fettnäpfchen ist dabei aber zweifellos ein mindestens halbes Eigentor.

Fazit

Eine prachtvolle, angemessen düstere, emotionale und technisch grandiose Adaption des weltberühmten Stoffs, die den Kern der Vorlage trotz wohl notwendiger Plot-Anpassungen perfekt trifft. Die unglückliche – oder eher saudumme – Übernahme antisemitischer Tendenzen ist natürlich nicht von der Hand zu weisen – auch wenn man hier glaubhaft niemanden böse gemeinte Absichten unterstellen mag. Besonders für Alec Guinness fast tragisch, der hier so eine engagierte und bewusst überzogene Performance abliefert und am Ende sich wohl dafür noch rechtfertigen musste.

Kritik: Jacko Kunze

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