Mit der populären Ice Age-Reihe, Robots, Rio oder Die Peanuts – Der Film hatte sich Blue Sky in den beiden vergangenen Dekaden zu einem der namhaften Animationsstudios aufgeschwungen. 13 Langfilme haben sie in ihrer Vita stehen, doch der vierzehnte Film Nimona, eine Adaption des gleichnamigen Fantasy-Romans von ND Stevenson, rückte in immer weite Ferne. Als Teil von 20th Century Fox geriet Blue Sky in die Fänge von Disneys Unternehmensgebaren. Die sich seit dem Jahr 2015 in Entwicklung befindende Handlung bekam kein grünes Licht, der Starttermin wurde dadurch mehrmals verschoben und mit der COVID-19-Pandemie wurden trotz Fortschritte die (vermutlich in der Hinterhand bereits seit langem paraten) Sargnägel für das Projekt inklusive Studio vom Zeichentrick-Riesen herausgeholt und hineingehämmert, ehe Netflix und Annapurna Pictures diese wieder herausgezogen haben.
Die Antwort für die nicht genehmigte Geschichte lässt sich zum einen mit Netflix‘ Veröffentlichungsdatum auf Ende Juni als Abschluss des „Pride Month“ zurückführen, zum anderen natürlich in den Handlungselementen an sich: Der von den Menschen als Mörder bezeichnete Ballister Boldheart (Riz Ahmed, Sound of Metal) führt eine Beziehung mit dem im Königreich beliebten Ritter Ambrosius Goldenloin (Eugene Lee Yang) und die titelgebende Teenagerin (Chloë Grace Moretz, Kick-Ass), die ihre Gestalt stets verändern kann, brennt darauf gegen das Institut, dem Regierungsorgan des Königreichs, zu rebellieren. Drei Faktoren, die als prekär für Disneys konservative Unternehmensphilosophie erscheinen, wobei mit dem letztjährigen Strange World erste zaghafte Schritte in Richtung Homosexualität gegangen worden sind. Mit der Veröffentlichung von Nimona offenbart sich nun die große Chance, die Disney verpasst hat, um das eigene Image gehörig aufzupolieren.
Im Detail präsentiert sich nämlich ein spannender Themenkomplex. Mit dem Gestaltwandel in jegliche Tiere und Personen wird die permanente Auseinandersetzung mit der eigenen Identität mit Charme, Symbolik und gewitzter Action auf die Szenen übertragen. Die Verstoßung von der Gesellschaft, egal wie stark die eigenen Bemühungen sein mögen, das Sehnen nach Akzeptanz sowie einer zweiten Chance spiegeln sich jeweils in Nimona und Ballister bei ihren Gesprächen im lockeren bis überraschend emotionalen Tonfall wider. Im Gestaltwandel werden zudem das Misstrauen und die Abschreckung mit der Steuerung der öffentlichen Meinung im Königreich erfolgreich verknüpft und durch das retrofuturistische Setting im Neugier weckenden Einklang von Mittelalter-Struktur und modernen Technologien verstärkt. Eine Anspielung auf gegenwärtige Retusche-Techniken wie Deepfakes und mit KI aufbereitete Stimmennachbildungen ist damit nicht abwegig. Somit werden hier effektiv mehrere Themen zwischen individueller und gesellschaftlicher Ebene miteinander verkettet.
Auf dieser verbundenen Themenplattform werden kräftige und tiefgehende Charakterporträts gezeichnet, mit der rohen Überzeugungskraft als Zeichen- und Antriebsfeder, denn eine Wiedergutmachung auf diplomatischen Wege ist vergeblich. Für Nimona eine helle Freude, für Ballister ein in Kauf zu nehmendes Übel, doch in dem einigenden Kompromiss entsteht eine mehr als unterhaltsame Chemie des Duos. Passend mit dem launigen Punk-Einschlag geht es ans Eingemachte gegen das Institut, worin der Film die Ausgrenzung mit der vorgegebenen Lebensweise und dem „von oben“ verliehenen, perfiden Ruhm im Königreich eindrücklich miteinbezieht. Mörder und Monster – beides Begriffe, die sie zurecht aufs schärfste verurteilen und in Antiheld:innen-Manier dagegen vorgehen.
Das bösartige Lächeln Nimonas fügt sich amüsant in ihre rebellische, verspielte und leicht überdrehte Natur ein und die Gestaltwandlungen können als starke Identifikationsfiguren sowohl für Transmenschen als auch für nicht-binäre Personen dienen, zu denen Nimona hinzugezählt werden kann. Generell ist es wohltuend mitanzusehen, wie Queer fließend und ohne Trara, aber dafür mit zärtlichen Gesten, in die Geschichte integriert wird. Des Weiteren wird Nimonas Umstand in einem hinten raus etwas holprigen Flashback im dennoch herausragenden, emotionalen dritten Akt hervorgehoben. Dieser glänzt außerdem mit einer Anime-Anspielung, einschlägigen Metaphern, der Einbindung der Augen und Kameras auf das grausame Spektakel und der klaren Verortung der ausgehenden Bedrohung, nicht zuletzt durch den verwendeten Komplementärkontrast. Genauso kann sich der Score von Christophe Beck (Die Eiskönigin - völlig unverfroren) allemal hören lassen mit zwei melancholisch angehauchten Themen für die Protagonist:innen und der für den Schauplatz angemessene Mix aus elektronischen Einflüssen und orchestraler Untermalung.
Doch natürlich muss auch der Zeichenstil angesprochen werden, an dem sich wahrlich die Geister scheiden werden. Auf dem ersten Blick grob wirkend, die Charaktere und Architektur in spärlichen und deutlichen Abstufungen schattiert, ist der Zeichenstil gewöhnungsbedürftig. Dieser erinnert an die jüngeren Ausgaben der The Legend of Zelda-Videospielreihe und harmoniert mit Nimonas Gestaltwandlungen. Für Blue Sky Studios wäre dieser Film eine deutliche Abkehr in der Ästhetik gewesen, dessen Mut zur Radikalität vom hiesigen Zeichentrick-Riesen enttäuschend verwehrt wurde. Mit der Fertigstellung des Films durch das Studio DNEG Animation findet die von Blue Sky verrichtete Vorarbeit sehr erfreulicherweise in den letzten Sekunden des Abspanns ihre Würdigung.