Züge können ein fantastisches Setting für Erzählungen darbieten. Das wusste nicht erst Agatha Christie, als sie 1934 eines ihrer berühmtesten Werke, „Mord im Orient-Express“, veröffentlichte und sich schon zuvor in „Der blaue Express“ den Zug als Tatort vornahm. Ohne Vorwissen könnte allein der Titel „Nachtzug nach Lissabon“ eine ähnliche Thematik evozieren oder zumindest den Zug als Ort einer spannungsgeladenen Geschichte präsentieren. Zwar folgt für Fans dieser Erzählweise die Ernüchterung auf dem Fuße, wenn der Zug tatsächlich nur kurz als Vehikel dient, doch tut das der Wirkung des neuen Film von Regisseur Bille August keinerlei Abbruch. Im Gegenteil: Es präsentiert sich eine bewegende und zugleich spannende Reise zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
Gespür für tiefsinnige Geschichten hat der Oscar-prämierte Däne Bille August („Pelle, der Eroberer“, „Das Geisterhaus“) schon des Öfteren unter Beweis gestellt. In seinem neuen Film, „Nachtzug nach Lissabon“, nimmt er sich dem nicht minder feinfühligen, gleichnamigen Weltbestseller des Philosophen und Schriftstellers Pascal Mercier an und kreiert eine Geschichte um Liebe, Verrat, Vertrauen und Vergangenheitsbewältigung, die abseits der berührenden Inszenierung auch durch ihre großartigen Schauspieler getragen wird.
Jeremy Irons, der den eingestaubten Lateinlehrer Raimund Gregorius verkörpert, spielt mit einer gewohnt ruhigen, dabei aber ebenso sensiblen Art, dass allein seine Mimik und Gestik Ausdruck inne hat und Emotionen vermittelt. Der cholerische Ausbruch, zu dem Irons dann wiederum auch fähig wäre, wird dagegen dem genialen August Diehl zugesprochen. Dieser verkörpert Jorge, den besten Freund des Arztes Amadeu (Jack Huston), dessen Geschichte Gregorius folgt, als eine unberechenbare, aber auch zutiefst verletzliche Persönlichkeit, deren Schmerz der Zuschauer durchaus nachvollziehen dürfte. Der ruhige Pol der Geschichte liegt derweil bei dem erwähnten Jack Huston, der neben den anderen Figuren eine unglaublich beruhigende Ausstrahlung hat. In diesem Zusammenspiel wirken diese drei Figuren als sehr harmonisches Trio, auch wenn sich nur zwei der Personen in der Handlung begegnen. Mélanie Laurent, die in diesem Film durchaus als Femme fatale betracht werden kann, bleibt daneben leider viel zu blass.
Aber damit nicht genug: Selbst kleinste Nebenrollen sind mit Martina Gedeck („Das Leben der Anderen“), Lena Olin („Der Vorleser“), Burghart Klaußner („Das weiße Band“), Charlotte Rampling („Swimming Pool“) und Christopher Lee („Der Herr der Ringe“-Trilogie) hochkarätig besetzt. Den eindrucksvollsten Part in dieser Reihe nimmt sich dagegen Bruno Ganz („Der Untergang“) heraus. Abseits einer persönlichen Vorliebe sei auf das Schauspiel des inzwischen 71jährigen hingewiesen. Die Verletzlichkeit von August Diehls Charakter Jorge, setzt Bruno Ganz als alter Ego in der Gegenwart fort und fügt dem noch eine tiefe Verbitterung und Gebrochenheit hinzu, die sich aus der Entwicklung der Person Jorge ergibt. Wenn sich dann in der wohl spannendsten Szene Jeremy Irons und Ganz gegenüber sitzen, treffen nicht nur unterschiedliche Charakterdarstellungen, sondern auch ebenbürtige Schauspielgrößen aufeinander.
Obwohl der namensgebende Zug nicht weiter in die Geschichte involviert wird, entspringt der Handlung eine Whodunit-Erzählung, die Spannung verspricht und der philosophischen Erzählweise die perfekte Ergänzung beschert. Am Ende ergibt sich dann daraus tatsächlich noch ein Clou, der die Geschichte rund abzuschließen weiß, bis nur noch der Eindruck vom Film bleibt. Und der ist, ob nun spannend, berührend oder eindrucksvoll, alles in allem nachhaltig.