„Wenn ich weitermache, tue ich jemandem weh. Wenn ich aufhöre, tue ich jemanden noch mehr weh.“
Der dritte Spielfilm des kürzlich verstorbenen Andrzej Zulawski (Possession) ist eine einzige Tortur. Keine Achterbahn der Gefühle, nur ein freier Fall ohne Netz und doppelten Boden, an dessen Ende fast unweigerlich der harte Aufprall stehen kann. Ausgerechnet darin findet er dann doch so was wie ein Happy-End, wenn man das nach alledem überhaupt so nennen kann.
Nachtblende ist eine destruktive Liebesgeschichte am Rande des Wahnsinns; zermürbend-triste Poesie zwischen überzeichneter Groteske, provokanten, verkünstelten Expressionismus mit dem Hang zur narrativen Sackgasse und trotz seiner kaum als real wahrzunehmender Erlebniswelt zwischendrin immer wieder so nah an seinen sich verzehrenden, aufreibenden Hauptfiguren, dass einen Zulawskis teils wirres Albtraum-Gemälde kaum unberührt lassen kann, obwohl der Zugang oft auf wackeligen Beinen steht und manchmal einfach umfällt. Die Geschichte rund um die von Minderwertigkeitskomplexen zerfressende, erfolglose Schauspielerin Nadine (Romy Schneider, Der Swimmingpool), die sich in pornographischen Schund erniedrigen muss („Ich bin Schauspielerin, ich kann wirklich was! Das hier mache ich nur um leben zu können!“), und dem ihr hoffnungslos verfallenen Fotografen Servias (Fabio Testi, Das Geheimnis der grünen Stecknadel) ist als Psychogramm sowohl fahrig als auch intensiv, vom Plot mehr als löchrig, jederzeit ausdrucksstark inszeniert und umwerfend gespielt. Gegensätze ziehen sich an und stoßen sich natürlich auch ab. Nachtblende schwankt dementsprechend zwischen selbstverliebten, manchmal ziellos wirkenden Arthaus-Wahnsinn (Klaus Kinski, Fitzcarraldo, adelt den Film mit einer sensationellen Performance, gleichwohl endet seine Rolle irgendwo im Nirgendwo) und empathisch-aufreibender Tragödie.
Die Welt des Andrzej Zulawski scheint - wie auch in Possession - ganz weit weg und dann doch wieder nah dran an der Realität. Seine Figuren tragen komplexe Konflikte aus, die aus der allgemein bald surrealen, verworrenen und zu einem nicht geringen Grat heraus(bis über)fordernden Erzählung sich an die Oberfläche graben müssen, dann dafür mit Nachdruck. Während Nadine nicht mehr fähig ist sich und ihre Gefühle rational einzuordnen, gefangen ist in ihrem Selbstmitleid, emotionaler Verkrüppelung und zwischen zwei Männern, wird Servias dominiert von seinem Helfersyndrom. Seiner Natur, immer „das Richtige“ zu tun, Verantwortung zu übernehmen obwohl er es nicht müsste (oder gar sollte), ein fast krankhafter Drang zur Selbstaufopferung, der schon absurde Formen annimmt…und ebenfalls gefangen, zwischen zwei Vaterfiguren, die beide nicht als solche zu bezeichnen sind. Sie ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt, er zu wenig mit sich. Deshalb sind sie wie füreinander geschaffen, ziehen sich an und stoßen sich wieder ab…die berühmten Gegensätze, da sind sie wieder.
Das Zünglein an der Waage spielt dann Jacques (Jaques Dutronc, Van Gogh), der manisch-depressive, impotente Ehemann von Nadine, der der aufkeimenden Romanze bis zum Schluss (eigentlich nur durch pure Anwesenheit) im Wege steht und bereit ist, aus Liebe das ultimative Opfer zu bringen. Auch das ist nicht unbedingt glaubhaft, nachvollziehbar herausgearbeitet – auf konventioneller Ebene –, nichtsdestotrotz ungemein effektiv auf emotionaler Basis. Wie eigentlich alles bei Nachtblende. Der Film lebt von seinen Momenten und deren Wirkung, von seiner Intention, weniger von den allgemeingültigen Strukturen, die (zum Teil sicher) bewusst nicht erfüllt werden. Das muss nicht gefallen, das ist schwierig bis zu weit drüber, aber es hinterlässt Spuren. Narben, sichtbare und unsichtbare, im wahrsten Sinne des Wortes. Und das Romy Schneider diese Rolle als eine ihrer besten bezeichnete, lässt sich kaum abstreiten. Sie spielt sich die Seele aus dem Leib…und zu einem gewissen Maß auch sich selbst. Unfassbar, dass sie mit Anfang 30 eine viel ältere Rolle verkörpert (sonst ja eher andersrum), total glaubhaft wirkt und dennoch unglaublich schön, anziehend, natürlich. Die Rolle ihres Lebens? Gut möglich. Ohne sie wäre der Film wahrscheinlich schon längst vergessen.