So beeindruckend das 2019 erschienene, gleichnamige Remake des Zeichentrickklassikers Der König der Löwen (1994) in seiner damaligen tricktechnischen Umsetzung auch gewesen sein mag, bleibt es bis heute Sinnbild für das Erfolgsmodell, mit dem Walt Disney seit der ersten Realfilm-Neuinterpretation eines eigenen Klassikers immense Profite erwirtschaftet hat. Natürlich waren nicht alle dieser Projekte gleichermaßen erfolgreich. Manche Remakes sind inzwischen sogar weitgehend in Vergessenheit geraten – so etwa die Neuverfilmung von Susi und Strolch (2019), die letztlich eher als Aushängeschild für den frisch gestarteten Streamingdienst Disney+ fungierte.
Wobei „neu“ in diesem Kontext ohnehin nur bedingt zutrifft. Es ist durchaus bemerkenswert – um nicht zu sagen ernüchternd –, dass die kommerziellen Erfolge der Neuverfilmungen in auffallender Weise davon abhängen, wie stark sie sich an die erzählerische Vorlage halten. Das Einspielergebnis von fast 1,7 Milliarden US-Dollar beim Lion King-Remake illustriert dies eindrucksvoll: Je näher der Film dem Original blieb, desto erfolgreicher war er. Während einige Zuschauer dies als triumphalen Erfolg feierten, empfanden andere es als alarmierende Bankrotterklärung an die Kreativität.
Man könnte polemisch behaupten, Disney habe im Sommer 2019 eine einfache, aber überaus lukrative Formel perfektioniert: Hochmoderne Animationstechnik, gepaart mit einer gehörigen Dosis Nostalgie – und konsequentem Verzicht auf jede Form von Originalität. Das Prequel zum König der Löwen-Remake bietet fünf Jahre später nun die Gelegenheit, diesen Eindruck zu widerlegen. Und auch wenn die Trailer eher generisch wirkten, scheint zumindest theoretisch die Möglichkeit zu bestehen, dass Mufasa: Der König der Löwen mehr wird als ein rein kommerziell motiviertes Projekt zur umsatzstarken Weihnachtszeit.
Ein zentraler Grund für diese vorsichtige Zuversicht ist Regisseur Barry Jenkins. Der Oscar-Preisträger, bekannt durch Moonlight (2016) und Beale Street (2018), gilt als einer der bedeutendsten Filmemacher seiner Generation. Jenkins hat in seinen bisherigen Werken stets eine klare Vision verfolgt und einen unverkennbaren narrativen Anspruch vertreten – eine Herangehensweise, die er vermutlich auch bei Mufasa: Der König der Löwen im Sinn hatte. Die entscheidende Frage lautet jedoch: Hat Disney ihm den Raum gelassen, seine künstlerischen Ambitionen umzusetzen, oder war es primär die Strahlkraft seines Namens, die auf dem Kinoposter glänzen sollte?
Jenkins selbst sah sich wiederholt gezwungen, sein Engagement bei Mufasa: Der König der Löwen zu verteidigen. In einem Interview mit Vulture räumte er sogar ein, dass diese Art von Hightech-Produktion nicht seiner gewohnten Arbeitsweise entspreche. Hinzu kam der Ausstieg von Komponist Hans Zimmer, der ursprünglich erneut die Filmmusik übernehmen sollte. Währenddessen wurden die Songs des Films von Lin-Manuel Miranda beigesteuert, der mit Hits wie „We Don’t Talk About Bruno“ und „You’re Welcome“ zu einem der gefragtesten Künstler in Disneys Portfolio zählt. Diese Trennung zwischen Score und Songs hätte für eine fruchtbare Zusammenarbeit sorgen können, doch Zimmers Rückzug hinterließ bei Fans einen bitteren Nachgeschmack.
Tatsächlich entfaltet Mufasa: Der König der Löwen seine musikalische Wirkung vor allem dann, wenn der legendäre Score von Hans Zimmer zitiert wird. Abseits dieser Momente und der soliden Songs von Lin-Manuel Miranda fehlt es dem Film allerdings an musikalischer Eigenständigkeit, an Melodien, die haften bleiben, oder an etwas, das wahrhaft unvergesslich wäre. Dieses Defizit lässt sich auch auf weitere Aspekte des Prequels ausweiten – was jedoch nicht heißen soll, dass das Werk als Ganzes misslungen wäre.
Visuell wird gewohnt geklotzt und nicht gekleckert: Die technischen Künstlerinnen und Künstler haben vor allem bei den Naturpanoramen beeindruckende, lebendige Bilder geschaffen. Besonders in puncto Vielseitigkeit punktet der Film. Während das Remake von 2019 durch seine entsättigten Farben oft monoton wirkte, fasziniert Mufasa: Der König der Löwen mit einer geradezu malerischen Farbenpracht. Alle 15 Minuten wechselt die Vegetation: von Steppe zu Sumpf, von Regenwald zu schneebedecktem Gebirge. Realistisch ist das zwar nicht, doch die visuelle Abwechslung schafft wohltuende Dynamik und beschert dem Film Augenblicke, die wie gemacht sind für die große Leinwand. Gerade in diesen Momenten zeigt sich, dass mit Barry Jenkins ein wahrer Kinoliebhaber auf dem Regiestuhl saß.
Was hingegen weiterhin befremdet, sind die sprechenden Löwen. Ihnen fehlen, im Gegensatz zu Affen, jene menschlichen Züge, die es erleichtern würden, echte Emotionen zu vermitteln. Die Mimik wirkt dadurch oftmals steif und distanziert. Angesichts einer Geschichte, die ihre Gefühle ohnehin mit der Subtilität eines herabfallenden Konzertflügels darbietet, fällt dieser Uncanny Valley-Effekt jedoch weniger ins Gewicht.
So schlicht Mufasa: Der König der Löwen auf der emotionalen Ebene agiert, so überladen ist er erzählerisch. Zwar besitzt die Handlung ein hohes Tempo, doch es mangelt an Raum, um einzelne Szenen atmen zu lassen. Momente kommen und gehen, ohne dass ihre Bedeutung angemessen gewürdigt würde. Die ständigen Unterbrechungen von Timon und Pumbaa gehen irgendwann nur noch auf die Nerven und ein Gefühl für geografische Zusammenhänge entsteht kaum: War die Titelfigur eben noch im Dschungel, findet sie sich plötzlich auf einem schneebedeckten Gipfel wieder. Wie viel Zeit verstrichen ist, bleibt unklar, da der Film zu sehr damit beschäftigt ist, unzählige Figuren zu positionieren. Bis die Narration einen stringenten Fluss findet, vergeht einiges an Zeit.
Immerhin: Mufasa: Der König der Löwen erzählt eine neue Geschichte. Es handelt sich nicht um eine bloße Kopie von Der König der Löwen oder dessen durchaus gelungenem Direct-to-Video-Sequel Der König der Löwen 2: Simbas Königreich (1998). Auch wenn die erzählerische Umsetzung nicht bahnbrechend ist, bietet die Handlung inhaltlich interessante Ansätze. Insbesondere das Thema Macht wird konsequent und verständlich verhandelt: Mufasa begegnet auf seiner Reise verschiedenen Königen, die ihm auf ganz unterschiedliche Weise vor Augen führen, wie Macht Menschen verändert oder korrumpiert. Zusammen mit der Figur des Taka, Mufasas Quasi-Bruder, ergeben sich erstaunlich nuancierte Einblicke in die Mechanismen der Macht – für einen Film dieser Art ein unerwarteter Mehrwert.
Taka selbst ist übrigens die spannendste Figur des Films. Nicht, weil aus ihm jemand wird, den König der Löwen-Fans nur zu gut kennen (und vermutlich nicht sonderlich schätzen), sondern aufgrund der inneren Konflikte, die seine Rolle ausmachen. Geboren, um König zu werden, leidet er unter der ständigen Furcht, den Erwartungen seines Vaters nicht gerecht zu werden – eine Angst, die ihn zur Feigheit treibt. In diesen Momenten findet der Film zu seinen shakespeareschen Wurzeln zurück. Leider wird Taka im letzten Drittel zu schnell zu einer anderen Figur, was seinem Handlungsbogen etwas von seiner Tiefe nimmt.
Diese Wandlung spiegelt letztlich wider, was Mufasa: Der König der Löwen als Gesamtwerk ausmacht: Das Prequel ist zwar bemüht, auf eigenen Beinen zu stehen, wackelt dabei aber noch merklich. Im Vergleich zur Neuverfilmung von 2019, die erzählerisch kaum Neues bot, zeigt sich hier immerhin ein ernsthafter Wille zur Eigenständigkeit. Doch anstatt diesen Pfad konsequent zu beschreiten, ist der Film zu sehr damit beschäftigt, das überlebensgroße Original zu ehren. Zu oft werden Verbeugungen vollzogen, zu selten wagt der Film wirklich Neues. Am Ende bleibt Mufasa: Der König der Löwen ein solides, in Teilen beeindruckendes Prequel, dem jedoch der Mut fehlt, sich aus dem Schatten des Originals zu lösen und damit bei den Fans anzuecken. Mufasa mag ein König sein, die Nostalgie ist eher ein Tyrann.