Kenneth Lonergans (You Can Count On Me) Margaret hat eine bewegte Entstehungsgeschichte hinter sich und es ist nach einigen Turbulenzen, die schließlich sogar vor Gericht geklärt werden mussten, fast schon ein Wunder, dass der Film überhaupt noch veröffentlicht wurde. Abgedreht hatte der Regisseur sein Werk bereits im Jahr 2006, doch erschienen ist Margaret erst 2011. Die üppige Zeitspanne dazwischen nahm ein Streit zwischen Lonergan und dem Studio Fox Searchlight ein, bei dem sich die Vorstellungen einer endgültigen Schnittfassung grundlegend voneinander unterschieden. Während Lonergan einen rund dreistündigen Film im Sinn hatte, wollte das Studio die 2,5-Stunden-Marke auf keinen Fall überschreiten. Die im Jahr 2011 veröffentlichte, rund 150-minütige Fassung, um die es hier gehen soll, ist jedenfalls ein kleines Meisterwerk, das trotz sichtbarer Kürzungen wenig von seiner Faszination einbüßt.
Margaret beginnt recht unscheinbar wie ein gewöhnlicher Coming-of-Age-Streifen. Hauptfigur ist die 17-jährige Lisa, eine Schülerin aus Manhattan, die nicht besonders gut in Geometrie ist, zum Ausgleich ein wenig mit ihrem Lehrer flirtet, mit Mitschülern gerne mal in Diskussionen ausbricht und als Scheidungskind mitsamt Mutter und ihrem kleineren Bruder in einer gewöhnlichen Wohnung lebt. Von einem Moment auf den nächsten wird ihr Leben allerdings von einem tragischen Ereignis erschüttert. Nachdem sie einen Busfahrer ablenkt, achtet dieser nicht auf die rote Ampel und überfährt eine Frau. Die Szene, in der die Passantin in Lisas Armen stirbt, ist von einer unglaublich einschneidenden Intensität, doch es ist nur die erste von vielen, mit denen Lonergan den Zuschauer konfrontiert.
Von nun an entwickelt sich Margaret zu einem unheimlich vielschichtigen, emotional aufwühlenden und moralisch komplexen Werk, in dem der Regisseur hauptsächlich durch die Perspektive der noch ziemlich unreifen Lisa ergründet, was es bedeutet, sich aus der sicheren Unschuld sowie Geborgenheit der Kindheit heraus mit schwierigen Herausforderungen auseinandersetzen zu müssen. Der zentrale Konflikt liegt dabei in dem Umstand begründet, dass Lisa aufgrund einer übereilten Kurzschlussreaktion bei der Polizei aussagt, die Ampel sei grün gewesen und der Busfahrer wäre demnach richtig gefahren. Der Busfahrer wiederum hat eine Familie, für die er sorgen muss, daher kommt ihm diese Falschaussage gerade gelegen.
Lonergan inszeniert von nun an immer wieder Momente, in denen er die moralische Integrität seiner Hauptfigur auf die Probe stellt, was zusätzlich belastet wird, da Lisa an vielen Fronten mit Problemen zu kämpfen hat und regelmäßig sehr impulsiv reagiert. Es ist aber nicht nur die zwiespältige, diskussionswürdige Persönlichkeit von Lisa, mit der der Regisseur sein Publikum herausfordert, sondern mehrere, kleinere Kriegsschauplätze, die er gekonnt über den gesamten Film verstreut.
Auch wenn man Margaret einige Kürzungen anmerkt, bei denen einzelne Szenen abrupt enden oder gewisse Handlungsstränge etwas unvollständig wirken, hat Lonergan ein umfassendes Gesamtwerk geschaffen. Er beschäftigt sich nicht nur mit Lisa und einigen Figuren, die dem Mädchen nahe stehen, sondern entwirft darüber hinaus ein tristes Bild von einem Post-9/11-Amerika, in dem die Menschen einige Jahre nach dem verheerenden Anschlag immer noch spürbar unter den Folgen leiden, nicht wissen, womit sie ihre Gefühle kanalisieren können und geschädigt durch den Alltag wandeln.
Neben der reichhaltigen Substanz wird der Film außerdem von einigen prominenten Darstellern wie Matt Damon (Good Will Hunting), Mark Ruffalo (Spotlight), Jean Reno (Ronin) oder Matthew Broderick (Ferris macht Blau) unterstützt, auch wenn es Anna Paquin (X-Men - Der Film) als Lisa, J. Smith-Cameron (Sabrina) als Mutter Joan und Allison Janney (Juno) als Monica, die beste Freundin der verstorbenen Passantin, sind, denen dieser Streifen gehört und die jede Szene, vor allem im oftmals wuchtigen Zusammenspiel, in fantastisches Schauspielkino verwandeln.