Eigentlich ist Violette (Julie Delpy, »Before Midnight«) ohne große Erwartungen nach Biarritz gefahren. Doch dann lernt sie dort Jean-René (Dany Boon, »Willkommen bei den Sch‘tis«)kennen. Im Handumdrehen werden die hypochondrisch veranlagte Eventmanagerin und der unbeholfene Informatiker ein Paar, und mit Jean-Renés jobbedingtem Umzug nach Paris scheint dem Aufbau einer gemeinsamen Zukunft nichts mehr im Wege zu stehen. Auch Violettes neunzehnjähriger Sohn Lolo (Vincent Lacoste) versteht sich blendend mit Jean-René. Doch der Schein trügt, denn eigentlich hat Lolo nicht vor, seine Mutter jemals mit einem anderen Mann zu teilen …
Was hätte das nicht alles werden können! Julie Delpy, die in »Lolo« nicht nur vor der Kamera steht, sondern auch das Drehbuch schrieb, legt da im Grunde eine überaus faszinierende Geschichte vor ‒ oder zumindest, die Einschränkung sei direkt gemacht, eine faszinierende Idee. Mit der auf Gegensätzen basierenden Romanze zwischen Violette und Jean-René und dazu Lolos gekonntem Intrigenspiel, um Mamans Neuen zu vergraulen, sind die Zutaten für kurzweilige Unterhaltung vorhanden. Sogar mehr als das hätte es werden können. Doch »Lolo« beweist leider lediglich, dass gute Ideen allein noch keinen guten Film machen, und das von der ersten Minute an.
Dass die Dialoge über weite Strecken enorm bemüht und gestelzt wirken, mag auch der Synchronisation geschuldet sein. Darüber hinaus krankt »Lolo« in erster Linie daran, dass es nicht gelingt, die Hauptfiguren Violette, Jean-René und Lolo pointiert zu charakterisieren und für den Zuschauer greifbar zu machen. Gerade eine Komödie, die ‒ wie Dany Boon im Bonus-Interview selbst bemerkt ‒ eben auf gegensätzlichen Charakteren aufbaut, sollte in dieser Hinsicht ihre Hausaufgaben gründlicher machen. An grob skizzierten Eigenschaften fehlt es denn auch nicht, jedoch gelingt es dem Film gerade bei seinen beiden Protagonisten nicht, diese als stimmige Charaktere mit einem Hauch von Tiefe zu etablieren. Wenngleich dies bei Violette eine Spur mehr angelegt ist als bei Jean-René: Sie neigt zu panischem Klammern, ist eine eher unerfahrene Köchin und vergöttert ihren Sohn, dem sie Gras in der heimischen Filmbibliothek hinterlegt. Ihre Facetten wirken jedoch seltsam isoliert und lose nebeneinanderstehend. Sie tauchen im Film dann auf, wenn es handlungstechnisch Sinn macht, werden zuweilen zwar grob in vorigen Szenen angelegt, aber selten im Sinne der Konflikt- und Figurenentwicklung weitergedacht und ausgeschöpft.
Jean-René hingegen, der für den immer etwas zerknautscht und tollpatschig wirkenden Dany Boon durchaus eine Paraderolle sein könnte, bleibt erschreckend blass und jenseits der Eckdaten eines mit dem Pariser Großstadtleben überforderten Informatikers kaum fassbar. Damit schafft Boon es zwar, ein grundsätzlicher Sympathieträger zu sein, und gerade sein rührendes Beharren, von seiner Wohnung aus den Blick auf den Eiffelturm zu genießen (der zu neunzig Prozent von einem weiteren Wohnhaus verstellt ist), mag dem Zuschauer das ein oder andere Lächeln entlocken. Insgesamt aber kommt sein Jean-René ebenso wie Delpys Rolle nicht als konsequent angelegte Figur daher. Und genau da liegt das Problem, denn sowohl Pointen als auch Konflikte ziehen ihre Kraft in der Regel auch daraus, dass eine Figur eben charaktergemäß auf sie reagiert ‒ wo der Charakter aber ein blass wabernder Schemen ist, kann der Funke kaum überspringen.
Deutlich besser funktioniert das alles bei Lolo, dem verwöhnten, machiavellistisch angelegten Sohn, der sich nach einem Streit mit der Freundin kurzerhand wieder daheim einnistet, die Aufmerksamkeit seiner Mutter genießt und einen klaren Hang zur Selbstinszenierung hat. Anders als Jean-René und Violette wirkt Lolo wirklich wie eine rund angelegte Figur, und die Wechselwirkung zwischen seiner augenscheinlichen Freundlichkeit gegenüber Jean-René und den kleinen Gemeinheiten hinter der Fassade wertet viele Filmszenen spürbar auf. Ein wenig fehlt dann aber auch in Lolos Charakter und gerade seinen intriganten Manövern der rote Faden, was sich jedoch leichter verschmerzen lässt als bei den übrigen Hauptfiguren.
Aufbau und Lösung von Konflikten sind ein weiterer Schwachpunkt des Films, denn das im Übermaß vorhandene Potenzial wird häufig nur sehr ungenügend ausgeschöpft. Hier und da nehmen Konflikte eine einigermaßen unerwartete Wendung, was der Handlung gut tut, doch unterm Strich bleibt es selbst mit gutem Willen unbefriedigend ‒ gerade, was die finalen Entwicklungen anbelangt. Der Film weist hier zwar durchaus stärkere Momente und gute Ideen auf, lässt seine Gelegenheiten aber allzu gern ungenutzt verstreichen oder überhastet sich bei der Auflösung. Hier wäre dramaturgisch deutlich Luft nach oben gewesen.
Bei den Pointen sieht es insgesamt ähnlich mau aus. Einige werden so sehr auf dem Silbertablett serviert und von langer Hand vorbereitet, dass ihre Vorhersehbarkeit sie schon vor Eintritt verpuffen lässt ‒ oder eben ihr absurdes Potenzial nicht ausgeschöpft wird. Selbst ein Cameo von Karl Lagerfeld hilft da nur bedingt, und wenn Violette und ihre beste Freundin im Zug vulgäre Witze reißen, wirkt das leider auch eher bemüht als erfrischend.