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Quelle: themoviedb.org

Inhalt

"Ein Film, der in die Vergangenheit blickt um vor der Zukunft zu warnen, aus der Perspektive eines kleinen Jungen. Ein Begleitfilm zu American Dreams (lost and found) (1984)" – James Benning

Kritik

Würde James Bennings (Landscape Suicide) Film little boy ohne Titel dastehen, so würde dieses ohnehin für ausschweifende Interpretationen offenstehende Werk eine weitere Ebene erhalten, nämlich die Frage nach der Perspektive. In den Experimentalfilmen, die der amerikanische Regisseur in seinem beachtlichen Oeuvre gesammelt hat, welche zumeist zwischen ausgedehnter Landschaftsdokumentation und der Exploration amerikanischer Geschichte das „Americana“-Konzept erforschen, existiert Subjektivität nur in den Augen seines Publikums, seine Filme verweigern die strenge Fokalisierung und konzentrieren sich eher auf Fokussierung. Mit dem Titel little boy bekommen wir aber nun das Anzeichen einer Perspektive: Die Geschichte eines kleinen Jungen und der Modellbauten, die er sein ganzes Leben lang bemalt. Von 1961 bis 2016 streckt sich dieses Panorama der amerikanischen Geschichte, die Hände altern beachtlich, die Modelle verändern sich, die Kultur driftet auseinander. Ein Bildungsroman der James Benning-Art. 

In besagter streng formeller, mathematischer Fokussierung reduziert Benning dieses Coming-of-Age Prinzip auf wenige, essenzielle Bestandteile. In den ersten Sekunden befinden wir uns in der Pre-History: Das Skelett eines Dinosauriers liegt als Kinderspielzeug vor uns, die Kindsperspektive scheint ausreichend etabliert. Wir springen ins Jahr 1961, Kinderhände basteln, während zeitgenössische Musik die Tonspur füllt. Nach einem Schnitt dürfen wir das Ergebnis betrachten: Ein Kernkraftwerk, eine Rede setzt plötzlich ein, Dwight D. Eisenhowers berühmte Abschiedsrede aus dem weißen Haus, deren thematische Schwerpunkte der Film in sich aufnimmt: Von dem „Military Industrial Complex“ ist die Rede, von „Balance (…) between the actions at the moment and the nation welfare in the future.“ Das Stichwort „balance“ prägt die Impressionen des Publikums auf Bennings Film, das abwesende Zentrum seines Filmes, besagter little boy ist vielleicht unbeeindruckt und unbelastet von der Rede, seine Hände aber kreieren unbewusst in trivialer Form den Untergang. Nach diesem wiederholenden Prinzip und auf genannte Elemente beschränkt funktioniert der gesamte Film: Hände, Song, Baumodell, Rede und eine Zeitangabe, die immer weiter voranschreitet. 

Erst geschieht jenes Vergehen in kleinen Sprüngen, hin zu 1966 wenn die Hände eine Kadettenanstalt bauen und schließlich Cesar Chavez ertönt. Später aber vergeht die Zeit beachtlich schneller, wir springen zu 1977 und später zu 1992, von Pete Segers „What Did You Learn in School Today?“ zu Sinead O’Conners „Molly Malone.“ Die Reden werden immer aktivitischer: Severin Cullis-Suzukis legendäre Rede in Brasilien warnt uns schließlich vor der Zerstörung der Umwelt, aus Eisenhowers „another war could destroy the civilization,“ einem Krieg zwischen der Ländern, wird schließlich ein ökologischer. Dieser definitiv didaktische Ansatz Bennings, die Veränderung eines Landes durch ein Gegenüberstellen von Kultur und Politik mag überaus gewollt wirken, durch sein betont reduziertes Framing wird sein Film jedoch weniger zu einer, sich selbstauferlegten „Warnung“ (wenn auch zahlreiche Segmente immer bedrohlicher werden) und erschaffen viel mehr ein Gesamtgemälde von einer Zeit des Umbruchs, die nie anfing und nie aufzuhören scheint.

Fazit

8.0

Eisenhowers „Avoid the Impulse to Live for Today” ist ein weiteres der vielen Mantras, die James Bennings little boy problematisiert: Der Stillstand des Filmbildes im Angesicht einer nie müde werdenden Geschichte der Vereinigten Staaten. Mehr als je zuvor erschafft der Regisseur einen beachtlich sensiblen Schnelldurchlauf der Geschichte aus der veridleutigen Perspektive kindlicher, und schließlich, vergehender Unschuld.

Kritik: Jakob Jurisch

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