Inhalt
Markus ist 29, Single und als Architekt beruflich angekommen. Niemand in seiner Familie und seinem Arbeitsumfeld weiß, dass er pädosexuell ist. Körper von kleinen Jungs erregen ihn. Er hasst sich dafür und kämpft jeden Tag gegen sein Verlangen an. Als die alleinerziehende Mutter Jessica mit ihrem achtjährigen Sohn Arthur in die Nachbarswohnung einzieht, verliebt sie sich in den hilfsbereiten Markus. Der kleine Arthur mag es, wenn Markus auf ihn aufpasst, und sieht in ihm eine Vaterfigur. Doch Markus ahnt, dass er sein Verlangen auf Dauer nicht unter Kontrolle haben wird. Er kämpft darum, den lauter werdenden Rufen in seinem Kopf zu widerstehen.
Kritik
Als ihm sein Neffe eine innige Umarmung schenkt, verschwindet Markus (Max Riemelt, Wir sind die Nacht) kurz darauf im Badezimmer, um dort unter Atemnot zusammenzusacken. Markus ist pädophil, er liebt Kinder, wie er sagt. Er findet sie erotisch, attraktiv, erregend. Jede Nacht träumt er von Sex mit den kleinen Jungs, die er tagsüber im Park verfolgt oder heimlich auf Sportplätzen oder in Schwimmbädern ablichtet. Die Fotografien nutzt er dann als Masturbationsvorlage, mehrfach, wild und hemmungslos, weil es seine Eroberungen sind, anders als die beliebigen Bilder aus dem Internet. Savas Ceviz, seines Zeichens Regisseur und Drehbuchautor von Kopfplatzen, hat sich für seinen diesjährigen Berlinale-Beitrag ein merklich schweres Thema ausgesucht. Dass er daran nicht scheitert, ist nicht nur beeindruckend, sondern auch eine vielversprechende Verheißung für die Zukunft.
Wirklich gekonnt beherrscht es Savas Ceviz, das einfühlsame Porträt eines Pädophilen anzulegen, ohne diesen Charakter allzu greifbar gestalten zu wollen. Max Riemelt, der nach Freier Fall seine womöglich pointierteste Karriereleistung abliefert, darf hier sympathisch erscheinen und Mitleid erregen, weil Kopfplatzen ihn nicht als Monster, sondern als Opfer seiner Bedürfnisse versteht. Noch wurde er nicht übergriffig, sein Trieb allerdings arbeitet merklich gegen ihn, was schlussendlich auch durch seine neue Nachbarin Jessica (Isabell Gerschke, Little Thirteen) bekräftigt wird, mit der er eine (Schein-)Beziehung eingeht, um ihrem 8-jährigen Sohn Arthur (Oskar Netzel) näher zu kommen. Dadurch gewinnt das Narrativ des Films einen bedrohlichen Thrill-Faktor, der auf Markus' Kontrollverlust spekuliert. Das könnte man als geschmacklos erachten, Savas Ceviz aber bewahrt durchweg die menschliche Pietät.
Kopfplatzen beutet sein gesellschaftliches Tabuthema nicht aus, ihm geht es nicht um reißerische Schockeffekte. Stattdessen bewegt sich der Film nah an der Gefühlswelt seines Protagonisten, der vollends in sich selbst verkapselt ist und extreme Abscheu gegen sein stetig aufbrandendes Verlangen verspürt. Savas Ceviz verwendet innerhalb seiner entsättigten Aufnahmen viel Zeit darauf, verständlich zu machen, dass Markus an einer Krankheit leidet: Für seine Neigungen kann er nichts, aber für seine Handlungen muss er sich rechtfertigen. In der letzten halben Stunde schießt Kopfplatzen dann zwar ein Stück weit über das Ziel hinaus, wenn er sich dann doch noch dazu entschließt, dramatische Höhepunkte zu stilisieren und die antiquierte Einsamer-Wolf-Symbolik etwas überstrapaziert. Unter die Haut geht dieses Charakter-Drama um eine gefangene Seele dank seinem Gespür für subkutane Beklemmung dennoch.
Fazit
Mag sich das Pädophilendrama "Kopfplatzen" auch in der letzten halben Stunde etwas zu viel zumuten, so überzeugt der Film vor allem durch seine einfühlsame Beobachtungsgabe, die den Protagonisten nicht verteufelt, sondern ihm voller leisem Einfühlungsvermögen begegnet. Der nuancierte agierende Max Riemelt liefert in der Hauptrolle seine wohl beste Leistung neben "Freier Fall" ab und zeigt, dass er endgültig zur schauspielerischen A-Liga Deutschlands gehört. Ein beklemmendes Erlebnis. Man darf gespannt sein, was Ceviz in Zukunft noch abliefern wird.
Autor: Pascal Reis