Immer häufiger schafft das serbische Kino auch hierzulande Aufmerksamkeit zu erregen, nicht selten durch provokante und grenzüberschreitende Werke wie beispielsweise Srdjan Spasojevics „A Serbian Film“.
Die Regisseurin Maja Miloš, während der Dreharbeiten gerade mal 29 Jahre alt, macht da keine Ausnahme. Mit ihrer expliziten Darstellung von Jugendsexualität schlägt sie dabei in eine ähnliche Kerbe wie die Filme eines Larry Clark (Kids und Ken Park). Ob das nun gelungenes Arthouse Kino ist oder wie vielfach kritisiert schon die Grenzen zur Pornographie streift, bleibt letztendlich dem Betrachtungswinkel des Zuschauers überlassen.
Die 15jährige Jasna (Isidora Simijonovic), ein High School Teenager in einer grauen Vorstadt Serbiens, lebt mit ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwestern in einer kleinen heruntergekommenen Wohnung. Ihr Vater leidet an einer tödlichen Lungenkrankheit, was Jasna jedoch kaum zu kümmern scheint. Vor häuslichen Pflichten flüchtet sie mit Ausreden. Viel wichtiger sind da die exzessiven Partys mit ihren Freundinnen, wo ständige Kicks, seien es durch Drogen und Sexpraktiken, die einzigen Highlights im Leben zu sein scheinen. Und das wird natürlich alles mit dem Smartphone gefilmt und kommentiert. Daher – wer hätte es gedacht - rührt auch der Titel „Clip“.
Jasna hängt bei ihren nächtlichen Touren besonders gern mit dem coolen Djordje (Vukašin Jasni) ab, ihrem Freund "mit gewissen Vorzügen", zu dem sie nach und nach eine emotionale Bindung aufbaut, während sie sich von ihren Eltern distanziert. Djordje selbst ist jedoch unfähig sich zu binden und sieht in Jasna nicht mehr als ein Objekt, mit dem er sich sexuell vergnügen und seine gewalttätigen Neigungen ausleben kann. Jasna jedoch scheint nicht in der Lage, sich von diesem Missbrauch zu lösen.
“Klip”, soweit seien schon einmal negative Aspekte erwähnt, betrachtet seine Protagonisten vordergründig sehr oberflächlich und schafft so eine große emotionale Distanz zu seinen Figuren. Die Dialoge sind spärlich gesät und meistens im Bereich der Gossensprache anzusiedeln. Viel interessanter ist da schon die Art, wie die Charaktere handeln und miteinander agieren.
Jasna ist als Charakter nicht besonders liebenswürdig angelegt zu sein. Doch unter all dem Make Up, Haarspray und den luftigen Kleidern befindet sich ein verletzliches Mädchen, das aus ihrem grauen Alltag ausbrechen möchte. Das zeigen vor allem einige wenige Szenen, die den Umgang mit ihrer Mutter und dem schwer kranken Vater beleuchten. Es ist anzuzweifeln, dass ihre Mutter eine gute Mutter ist. Sie gibt ihr zwar Geld, kocht für sie und tut alles, damit die Familie ein Dach über dem Kopf hat. Jedoch zeigt sie nie wirklich ein ernsthaftes Interesse an ihrer Tochter, führt nie Gespräche mit ihr und kann sie emotional schon längst nicht mehr erreichen. Den Mangel an familiärer Wärme kompensiert Jasna mit ihren Freunden, nämlich indem sie ihre daheim unterdrückten Gefühle in Form von Drogen und bedeutungslosem Sex kanalisiert. Ihr Schrei nach Aufmerksamkeit und Zuneigung.
Die Autorin und Regisseurin Maja Miloš fängt in ungeschönten und drastischen Bilder das Leben eines hoffnungslosen Teenagers in Serbiens Nachkriegsgeneration ein. Der Schmerz, die Frustration und die Einsamkeit übertragen sich im Fortgang der Handlung mehr und mehr auch auf den Zuschauer, zumal der Film auch oft den intimen Blick durch die Smartphone-Kamera liefert. Die Entblößung seiner selbst und die Zurschaustellung im Internet ist ja leider ein Trend, der sich auf viele junge Menschen auf der ganzen Welt ausgebreitet hat. Jedes Schamgefühl scheint jedenfalls ausgeschaltet.
An der Oberfläche scheint Jasna äußerst selbstbewusst und gibt sich selbst masochistischen Spielereien hin. Tief in sich selbst jedoch schlummert wie bereits erwähnt ein unsicheres, verletzliches und einsames Mädchen, das in einer kalten und anonymen Welt lebt. Dieses Wechselbad der Gefühle ist den Machern gut gelungen, sofern man gewillt sich, diesen düsteren Trip bis zum Ende mitzugehen, ohne sich zwischendurch angewidert abzuwenden.
Wie in diversen Interviews zu lesen ist, war es der Regisseurin nie ein Anliegen, mit der durchweg im Film zur Schau gestellten Nacktheit und expliziten Sexszenen zu schocken. Vielmehr sei das, so Miloš, Mittel zum Zweck um dem Zuschauer begreiflich zu machen, wie sehr die Sexualität Teil von Jasnas normalem Alltag ist. Das man vor allem die männlichen Geschlechtsteile oft in Smartphone-Nahaufnahme sieht, dürfte den meisten Betrachtern des Films jedoch übel aufstoßen. Auch wenn die Jungdarsteller dabei von volljährigen Pornodarstellern gedoubelt wurden, wirken diese Szenen wie Fremdkörper im Film und waren nicht unbedingt nötig.
Die Handlung hat weder einen Anfang noch ein abschließendes Ende und ist relativ nüchtern und distanziert erzählt. Jedoch gibt es immer wieder kleine Ausbrecher, die durchaus Mitgefühl beim Zuschauer erzeugen. Zum Beispiel als Jasna zu einer Erzieher-Schulung geschickt wird und auf einer Kinderkrankenstation auf verlassene Kinder trifft, die sich nichts sehnlicher als fürsorgliche Eltern wünschen und der Einsamkeit entfliehen wollen. Ein kurzer Moment, in dem Jasna sich zu besinnen scheint, jedoch unfähig ist, aus dem Sog von Partys, Sex und Gewalt auszubrechen. Die letzten Szenen vor dem Abspann zeichnen entsprechend eine düstere Zukunft zumindest eines Teils der serbischen Gesellschaft, die ohne Hoffnungen und Ziele dahinvegetiert.
Mit dem Cast hat Maja Miloš viel Gespür bewiesen, vor allem Hauptdarstellerin Isidora Simikonovic spielt so authentisch, dass sich die Geschichte so tatsächlich in der Realität abspielen könnte. In der Tat bedurfte es für viele physische Szenen schon einiges an Mut, dies auch so vor einer Kamera umzusetzen. Inszeniert ist das zuweilen durchaus abstoßend für den Betrachter, teilweise allerdings auch sehr berührend. Diese emotionale Achterbahnfahrt hebt „Clip“ sicherlich über den Durchschnitt der typischen Teenager-Dramen.