Matthew Vaughn lässt sich vor allem in inszenatorischer Hinsicht sehr gut mit Comicass Edgar Wright vergleichen. Zumindest, wenn man ihn mal von der Leine lässt. Beide sind sehr darauf bedacht ihren Geschichten audiovisuell einen besonderen Touch zu verleihen, sie kreativ und ungewöhnlich zu inszenieren und sich Vorlagen anzunehmen, bei denen viele Andere genervt das Handtuch werfen würden. Ob nun Vaughns „Kick Ass“ oder Wrights „Scott Pilgrim vs. the World“. Beide Comicverfilmungen haben das Potenzial und Genie dieser Filmemacher gnadenlos aufgezeigt. Und da ist es doch eine wahrlich erfreuliche und spannende Sache, dass Vaughn dieses Jahr mit „Kingsman – The Secret Service“ wieder eine ebenso kuriose und abgefahrene Comicverfilmung auf die Leinwand wirft, die zudem auch noch auf den zeichnerischen Ideen von „Kick-Ass“-Erfinder Mark Miller basiert. So wird der Regisseur hier, im Gegensatz zum zahmen „X-Men: First Class“, mal wieder vollkommen von der Leine gelassen, was in einem extrem spaßigen, toll inszenierten und vollkommen kuriosen Actionritt endet, bei dem aber zumindest der Gewaltgrad diskutable Höhen erreicht.
„Kingsman– The Secret Service“ ist in vielerlei Hinsicht ein Film der Extreme. Oder besser gesagt: Dieser Film ist ein einziges Extrem. Das ist auf der einen Seite sehr positiv gemeint, vor allem wenn es um den parodistisch total überzogenen und extremem Inhalt, als auch die kuriosen Charaktere geht, bei welchen sich „Kingsman“ durch und durch als absurde Agentenparodie auszeichnet. Der Bösewicht bekommt ein (im Deutschen leider absolut schrecklich synchronisiertes) Lispeln verabreicht, die Aufnahmeprüfungen der Kingsman-Akademie fordern jedes Mal mehrere Todesopfer und die Gerechtigkeits- und Lehrvorstellungen der Charaktere bekommen ausufernde, comichafte Dimensionen. Und trotz der ganzen parodistischen Züge des Films, die in überraschend exzessive Höhen getrieben werden (Jacksons finsterer Weltherrschaftsplan sprengt jedweden guten Geschmack, die Coolness der Kingsman jedes Bondklischee) merkt man dem Film doch jede Minute die tiefe Verbeugung vor den originalen Gentlemen-Spys an. „Kingsman“ zaubert so auf angenehme Weise eine absolut aufgehende Mixtur aus Agentenparodie- als auch Hommage auf die Leinwand, die nicht nur Spaß macht, sondern auch voller netter Anspielungen steckt.
Doch einhergehend mit diesem Genrespiel spult „Kingsman“ auch auf ungewohnt ergiebige Art ein paar der einfallsloseren Agentennorman ab. Das betrifft vor allem die erste Hälfte, die zu Beginn noch ziemlich jedem bekannten Agenten/Coming-of-Age-klischee folgt und die Geschichte so zumindest anfangs noch relativ spannungsarm bzw. überraschungsarm gestaltet. Zwar inszeniert sich „Kingsman“ dabei selbstreferenziell und bewusst klischeehaft, die Kenntnis um seine Schema-F-Erzählung macht dies aber nur marginal besser. Das ändert sich im Laufe der Zeit aber immens, die Handlung reißt ab der Mitte immer mehr mit (wenn man sich denn auf das Gezeigte einlässt) und klatscht dem Zuschauer auch die ein oder andere arg kompromisslose und eindringliche Szene vor den Kopf. Den Klischees geschuldet vergisst „Kingsman“ aber ab und an narrativ wirklich unverbraucht oder überraschend vorzugehen.
Spaß macht der Film aber dennoch von der ersten Minute an: Vaughn hat einfach ein Händchen für gelungene Inszenierungen, Kampfchoreographien (die sich wohl am ehesten mit John Wicks „Gun-Fu“ vergleichen lassen) und audiovisuellen Spielereien. Allein die Eingangssequenz ist in ihrer Verbindung von Kriegsszenario und dem Song „Money for Nothing“ von den Dire Straits einfach große Klasse. Der geneigte Filmefreund wird sich mancher Szene also nicht zufällig inszenatorisch und humoristisch an „Kick-Ass“ erinnert fühlen. Im positiven Sinne natürlich.
Doch auch auf unschönere Weise ist „Kingsman“ extrem. Das betrifft vor allem den unglaublich hohen Gewaltgrad, der in mancherlei Szene gar den Eindruck von unnötigem Selbstzweck erreicht. Klar, Miller und Vaughn treiben die Darstellung des hier behandelten Spy-Genres in jeglicher Hinsicht auf die Spitze: Kingsman stellt sozusagen den ultimativ überzogenen Agentenfilm dar, der die Gewaltvertuschung und Glorifizierung des typischen Agentencharakters teils sogar konsequent als blutrünstig und eben nicht heldenhaft demaskiert. Und so machtes nur Sinn, dass auch der Gewaltgrad diese absurden Höhen erreicht. Dennoch sollte „Kingsman“ hier und dort zum Nachdenken anregen, ob dies nicht auch auf andere Art erreicht werden kann. Der Kritiker kann „Kingsman“ hier nicht vorwerfen in seiner grafischen Darstellung die Atmosphäre oder Konsequenz des Films zu brechen, Vaughn scheint sich in mancherlei Szene aber zu sehr in der brutalen und überzogenen Gewaltorgie zu verlieren. Die deutsche Freigabe ab 16 kann der Schreiberling daher auch gar nicht nachvollziehen. Der satirische Unterton fehlt in vielerlei Szenen einfach zu sehr und macht ernsthafter Dramatik platz, die zwar funktionieren mag, der Gewalt aber das comichafte und satirische Moment nimmt.*
Dies trägt natürlich nur umso mehr dazu bei, dass sich der Bruch, den„Kingsman“ nach ungefähr drei Vierteln begeht, nur noch stärker auf den Zuschauer auswirkt. Viele werden hier endgültig (und verständlicherweise) das Handtuch werfen, andere werden so nur noch mehr in die absurde Welt von „Kingsman“ gezogen. Visuell ist das alles großartig, geschauspielert ist es sowieso top: Colin Firth ("Magic in the Moonlight") passt super in die Rolle des kauzigen, aber supercoolen Galahad, Newcomer Taron Egerton macht seine Aufgabe als Sympathieträger ebenfalls ausgezeichnet und vor allem Mark Strong("Kick-Ass") darf mal wieder richtig scheinen. Auch dass man Mark Hamill ("Krieg der Sterne") nach langer Zeit mal wieder sieht, ist eine schöne Sache. Zudem geht die Überspitzung sowie die Verbeugung vor dem Genre in den meisten Szenen ja auch absolut auf (selbst das Product Placement erreicht augenzwinkernde, absurde, wenn immer noch penetrante Züge). Für jeden Fan von „Kick-Ass“ ist „Kingsman“ daher sowieso ein Muss, doch auch für Freunde von absurden und vollkommen überzogenen Action- und Agentenstreifen kann „Kingsman“ problemlos zu einem der spaßigsten Kinobesuche des Jahres avancieren.
*Im Zuge der Gewalt und der Frage, ob diese nur noch einen unnötigen Selbstzweck erfüllt, hab ich mir sehr lange den Kopf zerbrochen, ob ich dies in die Wertung einfließen lassen soll. Ich hab mich für ja entschieden, da vor allem eine Szene mich doch arg von dem Film abgestoßen und den Sehspaß so verringert hat. Die ursprünglichen 8 Punkte des Films verringere ich als auf 7,5, ohne die höhere Wertung dabei aber unerwähnt zu lassen.