Daisuke Igarashi schuf mit Children of the Sea einen 5 Bände umfassenden Manga, der von Februar 2006 bis November 2011 veröffentlicht wurde und im Jahre 2019 als Anime seinen Weg auf die Leinwand fand. Der detaillierte Zeichenstil des Mangaka war für Kritiker einer der größten Pluspunkte des Werks – auch außerhalb von Japan. Das Studio, welches sich also der Verfilmung annahm – Studio 4 °C – engagierte mit Ayumu Watanabe einen versierten Regisseur, der für Kult-Anime Doraemon Animationen und Storyboards lieferte. Das Besondere an der Umsetzung war die engmaschige Verknüpfung von CGI und traditionell gezeichneten Storyboards, die zu einem atemberaubenden Seherlebnis führten.
Die Welt, in der der Zuschauer eintaucht, ist eine faszinierende, von realen Gegebenheiten inspirierte, die allerdings nicht ganz kritikfrei betrachtet werden sollte. Die Geschichte handelt von dem jungen burschikosen Mädchen Ruka und zwei ganz besonderen Jungen, Umi und Sora, die von einer Art Seekühen (Dugongs) im Meer aufgezogen wurden. Ruka, die mit ihrer aggressiven und forschen Art schon immer als Außenseiterin zählt, findet hier in den Brüdern Seelenverwandte: Denn sie verbindet nicht nur die Andersartigkeit im Gesamtbild der Gesellschaft, sondern auch die Liebe zum Meer, eine magische Verbundenheit, die im Verlauf der Geschichte auf spirituelle Ebene explodiert und mehr Fragen aufwirft, als sie beantwortet.
Ruka verbringt also ihre Sommerferien nicht mit Gleichaltrigen Mitschülerinnen, sondern mit Umi und Sora – anfangs noch im Aquarium, in dem ihr Vater arbeitet, später am und im Meer. Dass es zur Belustigung von Zuschauern in Japan von Aquarien, Wassershows und in Gefangenschaft gehaltenen Meerestieren nur so wimmelt, ist hier ein Fakt, der zu keiner Sekunde angezweifelt oder kritisch betrachtet wird, während auf der anderen Seite von Fischsterben, der Übermacht des Meers und der Schönheit diesem in abstrakten Bildern schwadroniert wird. Doch wie passt das zusammen? Vielleicht, weil es in Japan einfach ein fester Bestandteil des Unterhaltungssektors ist? Eine Geschichte über die Liebe zum Meer, die wie ein einzelnes Lebewesen und ein Kollektiv empfunden wird, in einem Aquarium zu starten, wirkt hier schon fast blasphemisch.
Children of the Sea ist ein wahres, visuelles Abenteuer, das durch unheimlich schönen Szenerien, interessante Charakterzeichnungen und ein wunderbar stimmiges Bild von Animation und traditionellen Zeichnungen geschaffen wird. Untermalt von der Musik von Joe Hisaishi, der vielen wohl für seine Arbeiten für Studio Ghibli bekannt sein durfte. Das Abenteuer, auf das der Zuschauer Ruka, Umi und Sora begleitet, rollt langsam an, fast entschleunigt, nur um dann in der letzten halben Stunde zu einem wahren Chaos zu explodieren. So richtig will man nicht verstehen, wieso Fruchtbarkeitssymbolik mit Ruka in Verbindung gebracht wird, ist es ein Zeichen ihres Wachstums? Ist es der Wink auf das Coming-of-Age Genre, zu dem Children of the Sea auch gerne zählen möchte? oder ist es eine krude Kombination aus möglichst viel symbollastigen Bildern, wenig Plot und atemberaubenden Bildern, die schreit: „Ich bin anders, ihr versteht mich vermutlich nicht, aber das muss so sein, weil auch das Meer soweit und tief ist wie die Last an Symbolik, die ich hier auf euch herniederwerfe“?
Sobald die Achterbahn an psychedelischen Bildern vorbei ist, hinterlässt Children of the Sea einen enttäuschten und bitteren Beigeschmack bei einigen Zuschauern, wohingegen andere sicher aus den interpretierbaren Darstellungen etwas für sich ziehen konnten. Die Charakterentwicklung von Ruka bleibt weiterhin ein Mysterium und die Existenz von Umi und Sora wohl nur ein spirituelles Mittel zum Zweck. Ein Animefilm, der eindeutig der Arthouse-Schiene zugeordnet werden kann, aber auch hier nicht ganz den Rahmen ausfüllt, um sich geltend zu machen.