„Gefühle…dagegen sollte es ein Gesetz geben!“
Für 1995 mit dem enormen Budget von 70-85 Millionen Dollar ausgestattet (da gibt es heftige Schwankungen der Quellenangaben) galt die Comicverfilmung Judge Dredd (ausnahmsweise mal nicht von MARVEL oder DC, man höre und staune) als riesiger Blockbuster-Flop, obwohl er weltweit sogar Gewinn erwirtschaftete. Trotzdem blieb er massiv hinter den kommerziellen Erwartungshaltungen zurück, die Kritiken waren überwiegend vernichtend und Hauptdarsteller Sylvester Stallone (Rambo) wurde – natürlich – wieder bei den Razzie-Awards nominiert. Adam Sandler stand halt noch nicht auf deren ewigen Abschussliste. Es wird Zeit eine kleine Lanze für diesen weit über Gebühr gescholtenen Spaßmacher zu brechen, der seiner Zeit schon unverhältnismäßig verrissen wurde und mit dem entsprechenden zeitlichen Abstand noch um einiges besser abschneidet. Besser als das furiose Actionfeuerwerk Dredd von 2012, der eigentlich nur als das inoffizielle US-Remake von The Raid bezeichnet werden kann.
Wie es sich gehört ist in einer fernen Zukunft der Löwenanteil der Erde, Dank des Menschen, verseuchtes Brachland. Die Überbevölkerung wird in sogenannten Mega-Citys übereinander gestapelt. Oben die schmale Elite, unten das zahllose Gesocks. Angesichts der logischen Eskalation würde Justitia rein aus Überforderung erblinden, wenn sie es nicht schon wäre. Um sich bremsende Bürokratie zu ersparen erledigen die Street-Judges früher monatelange Arbeit in einem Abwasch. Verstoß erkannt, Urteil gefällt und im direkten Gegenzug vollstreckt, anhand der straffen Regeln meistens mit Hilfe der sprachgesteuerten, variablen Munition. Die unangefochtene Nummer eins dieses behelmten Ein-Mann-(oder Frau)-Gerichtshofs ist Judge Joseph „Ich bin das Gesetz“ Dredd (Sly, wer sonst?), der immer weiß, was die Angeklagten gerade sagen wollten und auf dem Gesetzbuch schläft wie manche auf der Bibel. Bis er Opfer eines Komplotts und selbst zum Verbrecher geschummelt wird, was ihm einen Aufenthalt in dem nicht mehr so luxuriösen Winterparadies Aspen beschert, wie seinem väterlichen Vorgesetzten und stetigen Förderer Fargo (Max von Sydow, Die Jungfrauenquelle) den vorzeitigen Ruhestand, was in dieser Welt buchstäblich bedeutet auf sinnlose Missionarsarbeit in die verdammte Fallout-Wüste geschickt zu werden. Ein für das Rentensystem durchaus praktikables Model, sollte man im Auge behalten.
Selbstredend ist unser mit geschwollener Brust und hängender Unterlippe das gängige Recht vertretende Held unschuldig, dahinter stecken machtgierige Schurken (der böse Deutsche Jürgen Prochnow, Die Mächte des Wahnsinns, das Hakenkreuz wurde an der Uniform wohl vergessen) und der andere italienische Hengst aus der aufgekochten Gen-Brühe, Ex-Judge Rico (Armand Assante, Tödliche Fragen), der mit seinem ehemals besten Kumpel noch eine unbezahlte Rechnung offen hat. Bei seinem Hollywood-Debüt darf der für den Regieposten notgedrungen genommene Brite Danny Cannon (Young Americans) aus den Vollen schöpfen und feuert für 90er-Verhätnisse ein beinah extravagantes Sci-Fi-Action-Knallbonbon ab, das seinen Comic-Hintergrund mal ironisch, mal vielleicht nicht ganz freiwillig selbst auf die Schippe nimmt. Die frühen CGI-Effekte erstaunen in ihrer Qualität bis zum letzten Drittel, in dem der Technik (wenn die Schauspieler tatsächlich mit ihr interagieren müssen) ihre Grenzen aufgezeigt werden, Stand 1995 aber eine Hausnummer. Mitten in diesem bunten und trotzdem recht harten Spektakel karikiert Sylvester Stallone das eigene Image, dass man es ihm nur mit bösem Willen negativ auslegen kann. Er hat kapiert, wie der Film funktionieren soll, was offenbar nicht auf jeden damals zutraf.
Bei Judge Dredd ist durchgehend ordentlich Alarm, da reihen sich gar so viele coole (wenn auch nur angerissene) Ideen aneinander, die können unmöglich alle zur vollen Entwicklung kommen. Dystopie-Satire (inklusive deutlichen Parallelen zu der Ideologie des Dritten Reich) mit sattem Actionanteil, einem Kriegs-Roboter-Bodyguard der auf Befehl Extremitäten ausreißt, kannibalischen Inzest-Outback-Piraten, Klon-Zombies und Stars, die sich dafür niemals zu schade sind. Stallone wurde ja bereits in Schutz genommen, der verliert sich herrlich in diesem Blödsinn und parodiert sich praktisch selbst, der Hit ist aber ohne Frage Armand Assante. Ein gerne vergessenes Schwergewicht, den man einfach mal laufen lassen sollte. Der glüht praktisch vor Enthusiasmus, was seinem Bad-Ass-Charakter nur gut tut. Wenn Rob Schneider (Kindsköpfe) als scheinbar unvermeidliche Sidekick-Labertasche nicht so anstrengend-überflüssig, der Showdown bei dem Potenzial nicht verwunderlich zu unspektakulär wäre, Judge Dredd könnte ein kleiner, sicher fehlerhafter aber deshalb nicht unsympathischer Knaller sein. Mit der linken und der rechten Hand hektisch hantiertes, nicht unbedingt ausgewogenes und dennoch sehr unterhaltsames, wesentlich kontrollierter konstruiertes Popcorn-Chaos als inzwischen gewohnt, das seinen Zweck absolut erfüllt.
„Die Sitzung ist geschlossen!"