In Bewegungsabläufen, die einer sanften, geschmeidigen Choreografie gleichen, fährt ein Gabelstapler in der Eröffnungsszene von Thomas Stubers In den Gängen durch die verschiedenen Regalreihen eines Großmarkts. Die bekannten Klänge von Johann Strauß' Walzer An der schönen blauen Donau verleihen den anfänglichen Bildern eine ruhige Gelassenheit sowie nahezu surreale Poesie, die dem denkbar unpoetischen Arbeitsalltag der Mitarbeiter in diesem Großmarkt eigentlich kaum ferner sein könnte. Doch genau darum, das unerwartet Schöne und Berührende zwischen dem für gewöhnlich Banalen und Unscheinbaren hervorzuheben, geht es dem Regisseur in seinem Drama. Umringt von feiner Melancholie, leiser Komik und unterschwelliger Tragik widmet sich Stuber den Menschen hinter den Arbeitern, von denen es scheint, dass sie sich durch die unterschiedlichen Abteilungen und Gänge einfach treiben lassen. Dabei wird der Großmarkt, in dem sich ein Großteil der Szenen ereignet, zum Mikrokosmos diverser Gefühle und Geschichten, von denen der Regisseur jede einzelne glücklicherweise so behandelt, als sei sie unbedingt erzählenswert.
Eine dieser Geschichten ist die von Christian, der zu Beginn des Films seine Probezeit antritt und Bruno in der Getränkeabteilung unterstellt wird. Während der langjährige, erfahrene Mitarbeiter den Neuen zuerst skeptisch aufnimmt, führt er ihn dann aber doch recht gesprächig in die intern vorherrschenden Mechanismen der Arbeitsabläufe ein. Im Gegensatz zu Bruno erweist sich Christian dafür als umso wortkarger, wenn dieser in den ersten 10-15 Minuten des Films kein einziges Wort von sich gibt. Genauso wie der Zuschauer von In den Gängen nimmt Christian die Eindrücke seines neuen Arbeitsplatzes, den der Regisseur wie eine eigene kleine Welt inszeniert, erst einmal stumm in sich auf. Dabei offenbart das System der Lagerlogistik und Sortimentspflege durch die Augen von Christian und die Worte von Bruno frühzeitig einige humorvolle wie sympathische Eigenheiten, die sofort hängenbleiben. Wenn die Verhältnisse zwischen Abteilungen wie Süßwaren oder Tiefkühlkost, das nur Sibirien genannt wird, in freundschaftliche oder feindselige Verbindungen zueinander gesetzt werden, verleiht der Regisseur ihnen dadurch umgehend die Qualität eigenständiger Länder oder Orte.
Diese Kunst, den jeweiligen Orten und Plätzen innerhalb dieses überschaubaren und doch von ganz speziellen Merkmalen geprägten Mikrokosmos eine außergewöhnliche oder markante Bedeutung über ihre eigene Funktion hinaus zu verleihen, zeichnet Stubers Film genauso aus wie ein ungemein feinfühliger Umgang mit den Menschen, die diesen mit Leben füllen. Einer dieser Menschen ist auch Marion, die Christian zunächst nur durch kleine Sichtfenster zwischen den Regalen in der gegenüberliegenden Süßwarenabteilung beobachtet. Wenn der Regisseur die Momente, in denen Christians Augen auf Marion haften bleiben, wie verlangsamte Tagträume in Szene setzt, wird sofort deutlich, dass er sich längst auf den ersten Blick in die Ausstrahlung der Frau verliebt hat. Die angedeutete Liebesgeschichte verläuft in diesem Film, passend zum Titel, allerdings nur als zaghaft erwiderter Flirt in den Gängen des Großmarkts.
Genauso wie Christian, der seine auffälligen Tattoos jeden Tag vor Arbeitsbeginn so gut wie möglich unter dem Kittel verbergen soll und somit auf gewisse Weise auch in eine leicht veränderte Identität schlüpft, führt auch Marion ein Leben außerhalb der Gänge und Regale. Dass diese voneinander getrennten Leben wiederum eine völlig andere Realität widerspiegeln, zeigen beispielsweise die wenigen Szenen in Christians karger, unaufgeräumter Plattenbauwohnung, in der er antriebslos und gedankenverloren wirkt. Während er auf der Arbeit der Frischling ist, wie er von Marion die ganze Zeit genannt wird, ist sie seine Miss Süßwaren. Doch auch Marions Privatleben drängt sich fortwährend immer stärker zwischen die Dynamik, welche offenbar nur innerhalb dieses Mikrokosmos existieren kann, der für die Mitarbeiter Segen und Fluch zugleich darstellt. Dabei vernachlässigt Stuber neben Christian, Marion und Bruno nie die anderen Mitarbeiter des Großmarkts, denen er immer wieder kleine Augenblicke beschert, die sich zum Gesamtbild einer äußerst vielschichtigen Familie zusammenfügen. Die meiste Zeit überlässt der Regisseur den Film aber seinen drei großen Hauptdarstellern Franz Rogowski (Transit), Sandra Hüller (Toni Erdmann) und Peter Kurth (Herbert).
Letzterer verkörpert seine Figur mit einer Mischung aus brummiger Sympathie, warmer Empathie und stiller Sehnsucht nach etwas Verlorenem, wobei Bruno zunehmend sowie gerade gegen Ende des Films für die emotionalsten Erschütterungen verantwortlich ist. Rogowski und Hüller spielen Christian und Marion als Gegensätze, die sich trotz aller Unwahrscheinlichkeiten anziehen und über lange Blicke oder kurze Berührungen gegenseitig erkunden. In kaum einer anderen Szene von In den Gängen wird diese zärtliche Spannung, die Rogowski und Hüller ganz fantastisch zum Ausdruck bringen, deutlicher als an Marions Geburtstag, an dem sie in der Küche vor dem Kaffeeautomaten von Christian mit einem Yes-Törtchen überrascht wird, das dieser mit einer einzelnen Kerze zum Geburtstagskuchen gestaltet, den er mit seinem Teppichmesser in zwei Hälften schneidet. Einzig und allein die Blicke und Bewegungen der Schauspieler genügen in diesem Moment, um etwas vollständig ohne Kitsch aufflammen zu lassen, das schon kurz danach zwischen Getränkekästen, Hubwägen und Gabelstaplern, einem Aquarium voller Fische sowie zahlreichen Nudelsorten, die sich kaum auseinanderhalten lassen, wieder verschwindet.