Aber der Reihe nach. Nightwish sind ja nun auch hierzulande schon lange keine Unbekannten mehr und füllen bei Live-Auftritten die größten Konzertsäle. Die finnische Symphonic-Metal-Band hatte insbesondere mit den letzten Alben den Hang zu einem Breitwandsound, der streckenweise deutlich an Filmsoundtracks angelehnt ist. Das letzte Album „Imaginaerum“ wurde 2012 veröffentlicht und erklomm sofort Platz 6 in den deutschen Charts. Ursprünglich wollte Bandsongwriter Tuomas Holopainen zu jedem Song ein eigenes Video drehen lassen, um das neue Werk in seiner Gänze auch visuell würdigen zu können. Videoregisseur Stobe Harju hatte allerdings größere Pläne und konnte letztendlich auch Holopainen überzeugen stattdessen einen abendfüllenden Spielfilm zu inszenieren.
Alle Nichtkenner der Band sollten an dieser Stelle wissen, dass die meisten Songs in eine rein instrumentale Filmmusik umgeschrieben wurden. Deshalb muss man vor Sichtung des Films ganz sicher kein Nightwish-Fan sein. Auch für Gegner gesungener Dialoge kann Entwarnung gegeben werden: Bei „Imaginaerum“ handelt es sich nicht um ein Musical, denn gesungen wird nur in drei relativ kurzen Szenen. Die Handlung des Films dreht sich um den alten Tom, der schwer an Demenz erkrankt ist und nach zwei Herzinfarkten schließlich ins Koma fällt. Die ins Krankenhaus herbeigerufenen Tochter Gem zeigt wenig Mitgefühl, scheint sie doch ein schwieriges Verhältnis zu ihrem Vater gehabt zu haben. Regungslos unterzeichnet sie die Papiere, die im Falle eines Todes ihres Vaters eine Wiederbelebung ausschließen.
Gem bleibt in der Nähe des Krankenhauses, lässt im Haus des Vaters ihre unschönen Kindheitserinnerungen Revue passieren und schlägt sich dabei noch mit der Sängerin Ann, Mitglied von Toms ehemaliger Band, herum. Währenddessen verfällt der im Sterben liegende Tom in einen lebhaften Alptraum, in dem er die Chance bekommt, doch noch mit seiner Tochter ins Reine zu kommen. Zugegeben, die Geschichte an sich klingt bekannt und erinnert von der Idee her an Zack Snyders „Sucker Punch“, in seiner düsteren Optik oft an „The Cell“. Aber Traumwelten bieten eben immer eine tolle Möglichkeit uns in völlig neue Welten fernab der Realität zu begeben und großes zu erschaffen. Und Imaginaerum ist so originell um völlig eigenständig für sich stehen zu können.
Dabei ist der Film voller Metaphern und versteckter Hinweise und erfordert so einiges an Aufmerksamkeit. Denn die Story beginnt hektisch und nimmt sich kaum Zeit die Charaktere zu vertiefen und dem Zuschauer näher zu bringen. So muss man bei den nur 80 Minuten Laufzeit viele Umstände einfach als gegeben hinnehmen. Im Fortgang der Handlung wechselt „Imaginaerum“ häufig zwischen Traum und Realität und grenzt beide Welten optisch gekonnt voneinander ab. Toms Phantasie besteht aus Bruchstücken seiner Vergangenheit, die er nach und nach zusammenzusetzen versucht, bevor die Demenz letztendlich alles zerfrisst was in seinem Leben noch Sinn ergibt. Einer der Hauptcharaktere ist dabei der Schneemann Mr. White, ein Art Personifizierung von Toms alten Erinnerungen. Der Schneemann nimmt Tom mit auf eine Reise, auf der er vielen Personen aus seinem Leben begegnet und sich auch einem traumatischen Erlebnis stellen muss.
Rein visuell ist diese Traumwelt fantastisch gestaltet und das ist letztendlich auch die größte Stärke des Films. Da die Handlungsplätze oft gewechselt werden, gibt es einiges zu bestaunen und zu entdecken. Natürlich sind die CGI-Effekte immer als solche zu erkennen und lange nicht so detailliert wie in Hollywood-Produktionen, teilweise auch störend verwaschen und künstlich. Kameraführung und Schnitt wirken jedoch sehr professionell. Und was hier mit einem Budget von nur 3,7 Millionen Dollar letztendlich auf die Beine gestellt wurde, ist wirklich beachtlich. Zumal der Großteil der Kosten aus der Bandkasse bezahlt wurde.
Die Darstellerriege ist relativ unbekannt und besteht aus kanadischen Darstellern. Quinn Lord muss als junger Tom die erste Hälfte des Films tragen, was ihm überzeugend gelingt. Zumal ihm mit dem Schneemann eine sehr ambivalent entworfene Figur gegenübersteht, deren Absichten bis zum Ende verschlossen bleiben und die einige gruselige Momente für sich verbuchen kann. Marianne Farley als Gem spielt solide, scheint aber vor allem in emotionalen Momenten überfordert.
Bemängeln könnte man, dass die Musik der Band nicht immer gekonnt in die Story eingebunden wurde, deshalb zuweilen etwas deplatziert wirkt und die düstere Atmosphäre empfindlich stört. Dies fällt vor man vor allem in der Szene auf, in der die Band selbst einen Auftritt hat, da hier Tempo und Rhythmus merklich ins Stocken kommen. Plötzlich wirkt der Film wie ein nervig zusammen geschnittenes Musikvideo. Glücklicherweise sind das aber nur wenige Momente im Gesamtwerk. Ein weiter Knackpunkt ist die Optik in einigen Filmszenen, die in der Realität spielen. Diese sind äußerst billig inszeniert und erinnern dabei oft an einen B-Movie. Da scheint alle Leidenschaft der Macher ausschließlich in die surrealen Innenwelten von Tom geflossen zu sein. Aber vielleicht war das auch deren Absicht? Die Handlung ist teilweise sehr verworren und schwer zu verfolgen, obwohl alles auf ein vorhersehbares Ende zusteuert. Positiv ist allerdings, dass Raum für eigene Interpretationen bleibt und Imaginaerum sich vor allem durch den dramatischen Hintergrund wohltuend vom Hollywood-Durchschnitt abhebt.