Man ist ja schon irgendwie reflexhaft dazu geneigt, jede Produktion, die sich in bestimmter Weise mit dem zweiten Weltkrieg und seinen ruinösen Konsequenzen auseinandersetzt, als 'besonders wertvoll' abzustempeln. Dabei hat sich das Kino in der Vergangenheit schon oftmals als ein gar sonderbarer Ort unter Beweis gestellt, dem es nicht unbedingt gelingen wollte, die schwarzen Kapitel der Weltgeschichte adäquat aufzubereiten. Von Geschichtsklitterung war da wiederholt die Rede, die kalkulierten Mechanismen hollywood'scher Manipulation wurden zu Recht bis zum Erbrechen dämonisiert. Es ist im Umkehrschluss natürlich auch nachvollziehbar, dass es einem solch prestigeträchtigen Projekt ganz konkret daran gelegen ist, ein Massenpublikum anzulocken, was wiederum folgerichtig negiert, die markerschütternde, unverfälschte Härte eines, zum Beispiel, „Komm und sieh“ aufzubereiten. Der gesunde Mittelweg ist die Kunst, schließlich, und das muss man sich gefallen lassen, frequentieren viele Menschen das Lichtspielhaus, um von großen Emotionen in die Zange genommen zu werden – und für einen Abend einfach gute „Unterhaltung“ zu erfahren.
„Im Labyrinth des Schweigens“ von Giulio Ricciarelli findet diesen Mittelweg und demonstriert, dass der deutsche Film, wenn er sich denn diesem diffizilen Sujet des zweiten Weltkrieges und all seinen Ausformung annimmt, nicht immer furchtbar dröge und – bisweilen – unglaublich pietätlos vonstattengehen muss. „Im Labyrinth des Schweigens“ erzählt über zwei Stunden die 5-jährige Vorgeschichte des 1. Auschwitzprozess von 1963 bis 1965, der immerhin 22 Kriegsverbrecher auf die Anklagebank brachte. Ricciarelli, und das merkt man „Im Labyrinth des Schweigens“ an, geht die Thematik mit dem angemessenen Respekt und Ehrfurcht an, ist aber weniger darauf bedacht, stur-biedere Rekonstruktion von Fakten darzubieten, um sich dabei wahrscheinlich noch mit dem außerordentlichen lexikalischen Wissen zu brüsten. Stattdessen nimmt sich das Drehbuch genau dort künstlerische Freiräume, wo sich andere Filme dieser Couleur gerne mal pedantisch auf ihren Wahrheitsgehalt verbürgen: Nämlich in der Hauptrolle. Johann Radmann (Alexander Fehling, „Am Ende kommen Touristen“) ist ein rein fiktiver Protagonist.
Das gibt „Im Labyrinth des Schweigens“ die Möglichkeit, ein eigenes, weniger auf Hörensagen und Überlieferung basierendes Charakter-Porträt anzufertigen. Radmann ist ein engagierter Staatsanwalt im Gericht von Frankfurt am Main, daran besteht kein Zweifel. Größtenteils schlägt er sich durch unbedeutende Verkehrsdelikte, deren Bußgeld vom Richter gerne mal reduziert wird, wenn die Anklagte ihm ein einladendes Lächeln herüberwirft. Für Radmann aber ist bereits das ein Unding, schließlich steht es im Gesetzbuch Schwarz auf Weiß, wie welche Strafe auszusehen hat. Es dauert nicht lange, bis Radmann in Kontakt mit Auschwitz kommt und ihm dabei erst einmal die großen Fragezeichen über dem Kopf kursieren: Was soll denn schon in Auschwitz vorgefallen sein? Das war doch schließlich nur ein Schutzhaftlager. Und hier beginnt „Im Labyrinth des Schweigens“ ganz wunderbar, die damalig vorherrschende Verdrängung der Deutschen ins Visier zu nehmen. Das Wirtschaftswunder floriert und floriert, von Wahrheiten möchte niemand etwas hören, schließlich wurden genügend Akten verbrannt, mehr Entnazifizierung geht nicht! Zuckerguss soll serviert werden!
All die Geschichten über die Konzentrationslager und Judenverfolgung sind doch eh nur von den Alliierten ins Leben gerufene Ammenmärchen, heißt es hier oftmals. Als Radmann dann aber Lagerdokumente von Auschwitz in die Hände fallen, in denen explizit die Tötungen von Juden niedergeschrieben sind, entzündet sich im jungen Staatsanwalt, für den Auschwitz selbst nur eine ungemein abstrakte Angelegenheit ist, eine Flamme der Menschlichkeit, die vorerst nicht zu einem großen Feuer auflodern darf, weil Deutschland den langen Schatten der Vergangenheit abwerfen möchte, anstatt hin- und wahrzunehmen. Und genau darum geht es „Im Labyrinth des Schweigens“: Ihm liegt es nicht daran, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und zu bestrafen, die Prozesse selbst werden in Texttafeln abgehandelt, stattdessen ist Giulio Ricciarelli ein Appell dahingehend gelungen, die Augen zu öffnen, was sich ja auch wieder mühelos auf die momentane weltpolitische Lage projizieren lässt. Dass es dem Film dabei auch gelingt, Radmann nicht im Pathos vom Gutmenschen zu belassen, sondern sein Engagement auch immer ein Stück weit selbstgefällig festzuhalten, gibt seiner Figur Ecken und Kanten.