Man sagt Woody Allen (Hannah und ihre Schwestern) inzwischen nach, dass er von einer ausgeprägten Altersmilde ergriffen wurde. Vor allem seitdem die New Yorker Ikone europäische Urlaubsziele zum beliebten Schauplatz seiner Filme erklärt hat, ist sich die internationale Presse einig: Allen hat nichts mehr zu erzählen. Allen dreht sich nur noch im Kreis. Allen hat keine Kraft mehr, um noch einmal richtig zuzubeißen. Zustimmen kann man dem Feuilleton im Zuge ihrer schnaubenden Tiraden in Richtung Woody Allen durchaus dahingehend, dass die großen Meisterwerke nicht mehr in dem regelmäßigen Turnus das Licht der Welt erblicken, wie es unter seiner Ägide in den 1970er und 1980er Jahren Gang und Gäbe war. Allerdings ist auch das Spätwerk des legendären Stadtneurotikers derart reichhaltig an klugen Überlegungen und Einsichten, dass man Woody auch heute keinesfalls missen möchte.
Das Weltkino nämlich wäre ohne seine alljährlichen Beiträge ein deutlich ärmeres, wie auch Ich sehe den Mann Deiner Träume belegt. Die Resonanz fiel seinerzeit durchwachsen aus, de facto allerdings war Woody Allen lange nicht mehr zu unbarmherzig, wie in seinem vierten filmischen London-Besuch. Ausgehend von einer Familie aus der Londoner Mittelschicht, ist die elementare Erkenntnis, die uns Woody Allen hier unterbreitet, dass jeder Entscheidung Konsequenzen folgen. Weise klingt das nun zwar nicht, die Umsetzung allerdings hat es in sich, weil Ich sehe den Mann Deine Träume einer dieser Filme ist, die sich auch für das gezielte Nachtreten nicht schämen. Aus der Soap Opera, die Jugendwahn, stagnierende Karrieren und heimliche Leidenschaften thematisch umzirkelt, ergibt sich zusehends eine gallige Abrechnung mit dem britischen Bildungsbürgertum, welches sich unter dem Einfluss von Tabletten und Alkohol längst schon in bitteren Lebenslügen verstrickt hat.
Die Kausalitätskette, in die Ich sehe den Mann deiner Träume das Paar Sally (Naomi Watts, 21 Gramm) und Roy (Josh Brolin, Sicario), Sally Vater Alfie (Anthony Hopkins, Das Schweigen der Lämmer) und seine Ex-Frau Helena (Gemma Jones, Sinn und Sinnlichkeit) ist gesäumt von schmerzhaften Zynismus und decodierender Schärfer – Eine tödliche Mischung. Denn dort, wo Ehen schon lange ihren Zenit überschritten haben, wo Illusionen wie Medikamente aufgesaugt werden, bis sich der Körper resistent gegen sie erweist, und eine Midlifecrisis immer wieder aufs Neue mit der Einnahme von Viagra-Pillen befeuert wird, bleibt offensichtlich nur noch die Flucht in die Spiritualität. Helena gibt sich in die Hände einer Wahrsagerin und reaktiviert durch diese ihren Lebensmut. Und weil Woody hier als ein derart gnadenloses Aas agiert, bleibt auch das Happy End, welcher er dieser Figur vergönnt, eines mit fadem Beigeschmack.
Woody Allen genoss schon immer ein wunderbares Gespür für das soziale Miteinander, für krisengebeutelte Zwischenmenschlichkeit, für das präzise Beobachten von Trieben und Begierden. Lange Zeit jedoch hat man den Meister nicht mehr derart entschieden darin gesehen, seiner Akteure bis auf die Knochen freizulegen. Ich sehe den Mann Deiner Träume blickt tief in das Innere seiner Charaktere, macht sie nackt, macht sie verletzlich. Umso schmerzhafter und auslaugender ist es deswegen zu sehen, wie Allen alle Beteiligten am langen Arm verhungern lässt. Wo ein Funken Hoffnung aufblitzt, bleibt in Wahrheit immer nur die Ernüchterung in Form von Täuschung, Manipulation, abgebrannten Finanzen und Nebenbuhlern, die nichts lieber tun, als sich dem persönlichen Glück in den Weg zu stellen. Ja, das Leben ist Schall, Raserei, Lärm und Wahn. Und letztendlich vollkommen vergebens.