Nach seiner Premiere auf dem Toronto International Film Festival 2023 erntete Drei Töchter (OT: His Three Daughters) des New Yorker Filmemachers Azazel Jacobs (Die Liebenden) überwiegend sehr gute Kritiken, zu einem breitgefächerten Kinostart kam es in der Folge leider trotzdem nicht. Stattdessen sicherte sich Netflix die Rechte an dem Kammerspiel-artigen Independent Drama und veröffentlichte es auf seiner Plattform vor gut einer Woche weltweit. Zumindest in den USA bekam es zwei Wochen zuvor noch einen limitierten Start in ausgewählten Kinos spendiert. Wobei es auf der einen Seite sehr schade ist, dass es solche Filme nicht (mehr) für die große Öffentlichkeit im Kino zu sehen gibt, dürfte sich auf der anderen Seite die Aufnahme in den Exklusiv-Katalog des Streaming-Giganten für ihn und seinen Schöpfer schlussendlich positiver auswirken. Dort wird ihm definitiv mehr Aufmerksamkeit zu Teil und wird einem Publikum angeboten, welches ihn unter anderen Umständen nie zu Gesicht bekommen hätte. Mal ganz abgesehen davon, dass es solche Filme sind, die einem nach einer überwiegenden kaum auszuhaltenden Vollschrott-Offensive der Netflix-Exclusives in diesem Jahr noch davor bewahren, sich von seinem Abo auf Nimmerwiedersehen zu verabschieden (traditionsgemäß kommt die Wende immer gegen Ende des Jahres, woran das wohl liegen mag…)
Im Mittelpunkt der Handlung stehen die drei Schwestern Katie (Carrie Coon, Ghostbusters: Frozen Empire), Christina (Elizabeth Olsen, WandaVision) und Rachel (Natasha Lyonne, Ad Astra – Zu den Sternen). Als ihr Vater Vincent aufgrund einer Krebserkrankung im Sterben liegt, kommen sie in dessen Apartment zusammen, in dem er noch mit Rachel zusammenlebt. Diese ist das Kind seiner zweiten Ehefrau und somit gar nicht mit ihm und ihren beiden Geschwistern blutsverwandt, was für ihn aber nie eine Rolle spielte. Die drei Frauen haben sich inzwischen auseinandergelebt und ihr Vater scheint die einzig wirkliche, noch existente Bindung zwischen ihnen zu sein. Die jüngste Christina führt eine glückliche Ehe mit einer noch kleinen Tochter und scheint nach außen hin sehr positiv und lebensfroh, während die älteste Katie mit den Zicken ihrer pubertierenden Tochter hart zu kämpfen hat und insgesamt sehr frustriert und angefressen von der gesamten Situation wirkt. Insbesondere, da Rachel den ganzen lieben langen Tag nichts anderes zu tun scheint als Joints zu rauchen und Sportwetten zu platzieren, während Katie sich in der Verantwortung sieht, nun alles für die Belange ihres Vaters regeln zu müssen. Dies führt unabdingbar zu Spannungen und die Frauen sind gezwungen, sich nicht nur mit der unmittelbaren Gegenwart, sondern auch mit der Vergangenheit und den Folgen für die Zukunft beschäftigen zu müssen.
Bis auf ganz wenige Ausnahmen verlässt Drei Töchter nie das väterliche Apartment und macht es für die Protagonistinnen praktisch unausweichlich, weiterhin vor ihren Konflikten wegzulaufen. Die werden schon früh durch einige eindeutige und einige subtile Anspielungen in den Raum geworfen und auch wenn sich der Film sehr authentisch mit der spannenden, oft tabuisierend ausgeklammerten (und nicht nur deshalb immens wichtigen) Thematik des Sterbens und vor allem Sterbenlassens auseinandersetzt, ist es mehr die Beziehung der Schwestern, die den eigentlichen Kern der Handlung ausmacht. Der palliative Prozess – dem die Töchter so überfordert und hilflos gegenüberstehen wie die meisten Menschen in dieser Situation, trotz der auch hier gezeigten, professionellen Begleitung – bietet eigentlich nur den Rahmen, wird aber dennoch sehr feinfühlig und realistisch präsentiert. Er ist im Grunde genommen der Anstoß für eine zwingend notwendige Aufarbeitung ihrer Beziehung, stellt aber auch die richtigen Fragen für die Bedeutung des Verlustes des noch einzigen Elternteils für eben jene: wenn er nicht mehr ist, was würde uns überhaupt noch zusammenhalten?
Der Antwort auf diese Frage geht dieser Film auf den Grund und bewältigt dies mit einem hohen Maß an Sensibilität und Empathie, ohne die plakative Emotionskeule übertrieben zu schwingen. Gegen Ende driftet man ganz leicht in diese Gefilde ab, was aber zu diesem Zeitpunkt schon längst nicht mehr als einen klitzekleinen Schönheitsfehler ausmacht. Die Hauptdarstellerinnen sind fantastisch und erfüllen ihre Rollen ohne überkandidelte Theatralik. Kleine Gesten lassen hier deutlich tiefer blicken als viele Worte, obwohl in dem Film naturgemäß sehr viel gesprochen wird. Aber auch das ist eine seiner Stärken. Was gesagt wird, sind keine holen Phrasen und aufgesetzte Dialoge völlig themenfremder Theoretiker, sondern skizieren die Figuren und ihr Innenleben präzise und glaubhaft, anstatt sie mit dem Klischee-Stempel zu erschlagen. Das könnte man zu Beginn befürchten, wenn hier drei klassische Klischees präsentiert werden. Die gestrenge Organisatorin, die gefügige Optimistin und der hoffnungslose Fall und Schmarotzerin, die es sich wahrscheinlich nur im gemachten Nest gemütlich eingerichtet hat und nun zu faul ist zu gehen, wenn es mal ernst wird. Diese bewusst gestreuten Schablonen werden an genau den richtigen Sollbruchstellen auseinandergenommen, wenn man sich beinah schon auf ihnen ausgeruht hätte. Denn all diese scheinbar plakativen Charakterzüge sind auch nur ein Stück Fassade und Schutzpanzer, die im Verlauf der Handlung immer mehr fallen gelassen werden und Drei Töchter letztendlich zu einer der besten Charakterstudien macht, die man in diesem Jahr bisher zu sehen bekommen hat.