Inhalt
Waldmeer, Sandmeer, gar nichts mehr. Am nordöstlichsten Zipfel Mecklenburg-Vorpommerns ist Ole zu Hause. Ole ist Anfang zwanzig und sein Leben dreht sich um Mopedrennen mit den Kumpels, Jagdausflüge mit Vater Heinz und Abhängen am absoluten "Hotspot" vor Ort: der Tankstelle. Diese Zeitverschwendung schaut sich Opa Karl nicht länger an. Er stellt seinen Enkel vor vollendete Tatsachen und besorgt ihm hinter seinem Rücken einen Praktikumsplatz in Berlin. Dort trifft er auf seinen Macho-Onkel Manni, mit dem sein Vater seit mehr als 25 Jahren zerstritten ist. Opa Karl spekuliert darauf, dass Ole die verfeindeten Familien wieder zusammenbringt. Als Ole auf die freche, durchgeknallte Fritzi trifft, gerät er im Großstadtkarussell Berlin ins Schlingern.
Kritik
Selten hat sich ein Filmgenre so sehr in der Hand eines einzelnen Mannes befunden wie die deutsche Komödie in der Til Schweigers. Neben seinen eigenen Regieprojekten („Keinohrhasen“, „Kokowäah“) und den Filmen seines Kumpels Matthias Schweighöfer („Schlussmacher“, „Vaterfreuden“), dessen Filme denen Schweigers in Look und Humor nahezu exakt gleichen, tritt der vielbeschäftigte Hesse immer wieder als Produzent in Erscheinung. Neben dem absurden Buddy-Movie „Nicht mein Tag“ mit Moritz Bleibtreu und Axel Stein produzierte er 2013 mit „Großstadtklein“ eine heitere Familienkomödie von Tobias Wiemann. Glücklicherweise emanzipiert sich Wiemanns Film über weite Strecken genug von den Werken des Produzenten, auch wenn Schweigers Einfluss gegen Ende unübersehbar ist.
„Großstadtklein“ verläuft insgesamt sehr gradlinig. Als Landei Ole (Jacob Matschenz) nach kurzer Einführung in Berlin eintrifft sind die Ziele der Geschichte bereits klar und für jeden erkennbar: Der Macho-Onkel Manni (Tobias Moretti) soll sich gefälligst mit seinem Bruder Heinz (Markus Hering) vertragen und die ruhelose Fritzi (Jytte-Merle Böhrnsen) muss bis zum Abspann in den Armen des unschuldigen Ole landen. Trotz diesem eher einfachen Setting und der schnörkellosen Erzählweise bereitet der Film Spaß. Das liegt vor allem an den guten Darstellern, die durch die Bank einen guten bis sehr guten Eindruck hinterlassen. Neben Hauptdarsteller Matschenz, der als Ole Familienkonflikte auch mal mit verzweifelten Appellen wie „Auf seine Familie schießt man nicht, die hat man lieb – auch wenn sie scheiße ist!“ lösen darf, überrascht vor allem Circus HalliGalli-Chaot Klaas Heufer-Umlauf als souveräner Quereinsteiger. Heufer-Umlauf beweist in seinen Szenen nämlich nicht nur sein hervorragendes Comedy-Timing, sondern überzeugt auch in den ruhigeren Sequenzen, in denen er mit ernster Miene seinem Filmcousin Ole berät. Durch seine gute Leistung kompensiert er zudem die etwas überdreht agierenden Kostja Ullmann und Pit Bukowski, die es mit der Darstellung mecklenburgischer Hinterwäldler eindeutig übertreiben.
Viel wichtiger sind jedoch die überzeugenden Leistungen der beiden Schlüsselfiguren der Handlung, Manni (Moretti) und Fritzi (Böhrnsen). Tobias Moretti ist sogar der heimliche Star des Films und schafft den schwierigen Spagat zwischen überdreht cholerischem Macho und mitfühlendem Familienmitglied. Vor allem sein ansatzloser Krücken-KO-Schlag gegen einen Nebenbuhler von Ole und der plötzliche Wutausbruch während einer Autofahrt bleiben im Gedächtnis. Böhrnsen hingegen verkörpert brillant die wankelmütige Hipster-Göre, die ihre Unsicherheit durch eine liberale Großstadtattitüde verbergen will. Ihre Figur ist jederzeit glaubhaft und die Faszination Oles für sie ist stets nachvollziehbar.
Mit einigen interessanten Ideen hat Drehbuchautor und Regisseur Wiemann seine Inszenierung bereichert. Hier ist vor allem der durchtriebene Kuchen- und Kronenklau Fritzis zu loben, denn durch geschickte Schnitte zwischen Opfer (Kindergartenkind Elvis) und Täterin (Fritzi) wird dem perplexen Ole gleichzeitig mit dem Zuschauer die Dreistigkeit des Diebstahls Stück für Stück unter die Nase gerieben. Leider wird „Großstadtklein“ gegen Ende viel zu keinohrhasig. Die Charaktere schauen hier lange nachdenklich in die Ferne, während dem Zuschauer Herz-Schmerz-Popmusik im Stile von One Republic vorgejault wird. Dazu werden dann die emotionalsten Szenen des Films als Flashbacks wiederholt, völlig unnötig bei einer Spielzeit von nur ca. 90 Minuten. Damit wird der Schluss vollkommen zum Til Schweiger-Produkt und der frische Wind der ersten 60 Minuten verkommt somit zu einem leicht miefigen Lüftchen.
Fazit
„Großstadtklein“ kann der eigentlich abgenutzten Thematik Landei-entdeckt-Berlin tatsächlich etwas Neues abgewinnen. Die Darsteller beweisen gutes Timing und vor allem Tobias Moretti hinterlässt als Krücken schwingender Prolet einen bleibenden Eindruck. Nur der einfallslose Schluss zieht die ansonsten überraschend komische Familienkiste von Tobias Wiemann deutlich nach unten.
Autor: Fabian Speitkamp