Graf Zaroff – Genie des Bösen, oder im Original The Most Dangerous Game, gilt allgemein als Geburtsstunde des Menschenjagd-Films, auf den sich mehr oder weniger alle folgenden Werke mit dieser Thematik berufen. Dabei war die Adaption der 1924 veröffentlichten, gleichnamigen Kurzgeschichte von Richard Connell fast nur so was wie ein Testlauf bzw. Platzhalter für das produzierende Studio RKO Pictures. Diese arbeiteten gerade fieberhafte an der Realisierung von King Kong und die weiße Frau. Da sich die aufwändige Vor-Produktion durch etliche Änderungen in die Länge zog, verwendete man kurzerhand die bereits vorhandenen Sets und einen nicht geringen Anteil von Cast und Crew – darunter Regisseur Ernest B. Schoedsack sowie die Darsteller Fay Wray, Robert Armstrong oder Noble Johnson – um dieses eher als zweitrangig eingeschätzte Projekt zu realisieren.
Ernest B. Schoedsack wurde gar mit Irving Pichel (Endstation Mond) ein zweiter Regisseur zur Seite gestellt, da man annahm, der Stummfilm-erprobte Schoedack könnte Schwierigkeiten bei dem noch recht jungen Medium Tonfilm haben. So ist der Film tatsächlich fast zweigeteilt inszeniert: Die erste Hälfte, in der die Dialoge im Vordergrund stehen, entstand hauptsächlich unter der Führung von Pichel, während die zweite Hälfte – die Action-orientierte Jagd – komplett in Schoedsack’s Händen lag. Eine interessante und aus heutiger Sicht sicherlich nicht vorteilhafte Vorgehensweise, die jedoch der Wirkung in diesem speziellen Fall nicht schadet. Denn aufgrund der sehr geringen Laufzeit von nur knapp einer Stunde erscheint Graf Zaroff – Genie des Bösen fast eher wie ein Zwei- statt klassischem Dreiakter. Gut eine halbe Stunde Exposition, die quasi unmittelbar in einem nur geringfügig kürzeren, dafür ausgedehnten Showdown mündet. Der typische Mittelpart verschwimmt dazwischen irgendwie, was keinesfalls von Nachteil ist. So war es Schoedsack’s ausdrückliches Bestreben, „seine“ Spielwiese so effizient und komprimiert wie möglich zu präsentieren. Eher auf Kürzungen bedacht, um die Dynamik dadurch höher zu halten. Alles, was das Tempo und die Anspannung drosseln könnte, wurde weitestgehend gestaucht. Frei von jedem Eitel, nur um die Wirkung bedacht. Was sich besonders diesem Part anmerken lässt, der unwahrscheinlich modern für seinen Jahrgang wirkt und bei dem besonders der rasante Schnitt wie die (durchgehend, aber hier gesondert lebendigen) großartige Kameraarbeit so richtig auf sich aufmerksam macht.
Der explizite Gewaltfaktor spielt bei dem Film – wie bei den meisten Genrevertretern dieser Zeit – noch keine bedeutende Rolle, die Grausamkeit entsteht ausschließlich aus der Prämisse. Dabei geht Graf Zaroff – Genie des Bösen mit der seinigen sogar recht weit. Eine sadistische Menschenjagd um die aristokratische Langeweile zu bekämpfen, wobei das auch nur ein Teilaspekt des recht hintergründigen Szenarios ist. Aber kein Unwichtiges. Zaroff (Leslie Banks, Der Mann, der zuviel wusste) wird als russischer Zarennachkomme verkörpert, der nach der Oktober-Revolution aus seiner Heimat floh und seitdem seine Passion als Jäger in menschenverachtende Höhen gesteigert hat. Nun trifft er auf sein verzerrtes Spiegelbild. Ebenfalls ein erstklassiger „Berufskollege“, aber bodenständig, aus dem Volk, moralisch integer – und selbstverständlich Amerikaner. Joel McCrea (Mord – Der Auslandskorrespondent) ist als Protagonist Rainsford nicht nur der klassische Held, er ist ein Sinnbild für seine Zeit. Während der großen Wirtschaftsdepression vertritt er die ehrliche Arbeiterklasse, während sein Gegenüber ein osteuropäischer Monarch ist. Etwas, was sich mit dem (angeblichen) Grundgedanken der USA, dem Land der Gleichheit, beißt. Eine gruselige, sonderbare Gesellschaftsform von ganz weit weg, die nichts Gutes mit sich bringen kann.
Obwohl der Film an sich keine klassische Monstergeschichte erzählt – wie damals beispielsweise die großen Erfolge von UNIVERSAL -, sucht Graf Zaroff – Genie des Bösen aber immer wieder die Nähe zu ihnen wie anderweitiger Mythologie. In einer auffälligen Szene zu Beginn erstarrt Rainsford praktisch kurzzeitig vor einem beängstigenden Gemälde, das einen Zentaur mit einer Frau im Arm zeigt. Ein kleiner Querverweis auch auf das Finale. Auch sonst erinnern die Kulissen (abseits des Dschungels, also primär die zum Schloss umfunktionierte Festung) stark an Dracula oder Frankenstein. Diese Mischung ist dabei mehr reizvoll als unglücklich, fokussiert sie dadurch noch mehr die spannende Zweiteilung. Sei es die bewusst Gewählte bei der Inszenierung. Die von Moderne und Historie. Die von Ost und West. Die von Horror und Action- und Abenteuer/Survivalthriller. Von reich und arm. Moralisch und pervers. Das gesamte Werk bietet viel Zeitgeist und sogar interpretativen Subtext an (latente, homoerotische Verweise in einem Hollywood-Film der 30er, wo gibt es denn so was?), was ihn trotz seiner knappen Länge und offensichtlichen B-Movie-Einstufung auch nach bald 90 Jahren noch zu einem unverzichtbaren Klassiker macht.