Inhalt
Adam Bell (Jake Gyllenhaal) ist Professor für Geschichte an der Universität Toronto und führt ein ereignisarmes Leben zwischen ständig gleichen Vorlesungen über Totalitarismus und unbefriedigendem Sex mit seiner kühlen Freundin Mary (Mélanie Laurent aus „Inglourious Basterds“). Erst als Adam von einem Kollegen einen Film empfohlen bekommt und in eben diesem sich selbst beziehungsweise jemanden, der ihm zum Verwechseln ähnelt, entdeckt, durchbricht er seine tägliche Routine. Kurzerhand macht er sich auf, den mysteriösen Schauspieler Anthony St. Claire (ebenfalls Jake Gyllenhaal) zu finden und zur Rede zu stellen.
Kritik
Is it a dream or is it reality
Es gibt Filme, über die jedes verschwendete Wort eines zu viel darstellt. Nicht auf Grund ihrer miesen Qualität oder ihres abstoßenden Inhalts, sondern auf Grund der ständig vorherrschenden Gefahr den Leser mit der eigenen Interpretation des Gesehenen nachhaltig zu beeinflussen. Ihm somit die Chance zu nehmen, dem Werk unvoreingenommen zu begegnen und sich eine eigene Meinung zu bilden. Das trifft in den seltensten Fällen auf Blockbuster Marke Hollywood zu, welche zumeist nur einer allzu bekannten Formel folgen, sondern hauptsächlich auf Independentprojekte ohne kreative Schranken oder Verfilmungen von bereits vieldiskutierten literarischen Vorlagen abseits des Mainstreams. Denis Villeneuves „Enemy“ erfüllt beide Vorgaben mit Leichtigkeit. Die kanadische Verfilmung des Romans „O Homem Duplicado“ von Literaturnobelpreisträger Josè Saramago nimmt sich einer sperrigen Vorlage an, fußt dabei produktions- und handlungstechnisch in Kanada und bietet nach „Prisoners“ bereits die zweite Zusammenarbeit von Denis Villeneuve mit Jake Gyllenhaal, der sich von Film zu Film weiter von Hollywood entfernt. Anders als bei deren letztem gemeinsamen Projekt, in dem der Handlungsverlauf zwar äußerst spannend aber durchwegs konventionell und somit nachvollziehbar präsentiert wurde, gibt es bei „Enemy“ nur wenige leicht verständliche Szenen. Schwere Kost trifft es dabei wohl am ehesten.
Das beginnt bereits bei der Farbwahl des Films, der Toronto als gelb-gräulich verwaschenen Moloch aus Trostlosigkeit, Einsamkeit, Eintönigkeit und Beliebigkeit darstellt. Unterstützt durch die nahezu statische Kameraführung von Nicolas Bolduc, überträgt sich auf den geneigten Betrachter ein Gefühl auswegloser Routine ausgehend vom Leben des stoischen Professors Adam. Mit dem Auftauchen von St. Claire nimmt der Film zwar etwas an Fahrt auf, bleibt aber weiterhin völlig undurchsichtig, relativ spannungsarm und schwer greifbar. Unterbrochen wird diese Lethargie nur durch ein bis zwei gut getimte (optische) Überraschungen, die den Film jedoch durch ihre mögliche Metabedeutung noch weiter von gewohnten Sehgewohnheiten entfernen. Dabei ist es weniger die Handlung, die den Zuschauer trotz der eigenwilligen Präsentation bei der Stange hält, sondern die stetig im Hinterkopf ablaufende Interpretation und Verarbeitung des Gesehenen. Begriffe wie Zwilling, Klon und Schizophrener spielen dabei ebenso eine Rolle wie (Alb-)Traum, Realitätsverlust und sogar Systemkritik an Kontroll- und Überwachungsmechanismen des täglichen Lebens.
Diese Gedankenspiele werden durch die famose Leistung von Jake Gyllenhaal noch verstärkt, für den sich die mysteriöse (Doppel-)Rolle in „Enemy“ sicherlich stark wie eine Rückkehr zu seinen filmischen Wurzeln in „Donnie Darko“ angefühlt haben muss. Jake brilliert einerseits als biederer vom Leben enttäuschter Geschichtsprofessor Adam und andererseits als abgebrühter, dominant aggressiver Schauspieler St. Claire. Der restliche Cast ist dabei (bewusst oder unbewusst) eher nebensächlich. Mélanie Laurent und ihr Look-a-like Sarah Gadon („A Dangerous Method”) als Love-Objects bleiben ebenso farblos wie Isabella Rossellini („Blue Velvet“) als Adams Mutter.
Abseits von dieser (höchstwahrscheinlich beabsichtigten) totalen Fokussierung auf Jake Gyllenhaal, ist es die äußerst undurchsichtige Handlung, die den Zugang zu Denis Villeneuves Werk erschwert. Um beim Vergleich mit dem überragenden „Donnie Darko“ zu bleiben, erwartet man sich auch als Independent-Fan von einem Film ein konsequent vorgebrachtes Ende, das zumindest partiell Aufschluss über Bruchteile des zuvor Gesehenen gibt. Dieser Wunsch bleibt bei „Enemy“ jedoch zu 100% unerfüllt. Der Streifen endet mit einem unerwarteten Knall und lässt den Zuschauer ratlos im (Kino-)Sessel zurück. Einerseits ist das natürlich eine spannende Abkehr von der hollywoodtypischen Zu-Tode-Aufklärung eines jeden Plottwists, aber andererseits – vor allem, da der Film sehr viele verschieden zu interpretierende Ansätze vereint – auch etwas enttäuschend und schmerzhaft abrupt. Auch die bereits erwähnte Eintönigkeit in Handlung und Präsentation wird so sehr überstrapaziert, dass viele Zuschauer wohl bereits vor dem Schlusstwist auf der Strecke bleiben und das Interesse am Film verlieren werden. Und das wiederum ist für keinen Film von Vorteil. Überbewerten sollte man diese Punkte wiederum trotzdem nicht, da sie mit ziemlicher Sicherheit in der Intention des Regisseurs lagen und zur nachhaltigen Faszination des Werkes beitragen. Weniger sperrig und leichter verdaubar wird das Ganze durch diese Erkenntnis jedoch trotzdem nicht.
Fazit
Denis Villeneuves Drama-Thriller-Mystery-Mix ist streckenweise ein Paradebeispiel für gelungenes Art-House-Kino. Ohne Anbiederungsversuche beim Publikum, ohne besondere Spannungshöhepunkte und ohne eine leicht verdauliche, mundgerecht aufbereitete Storyline entfaltet der monotone Film eine schwer in Worte zu fassende Faszination. Durch die unglaublich sperrige Inszenierung, ein völliges Fehlen von Identifikationspunkten für den Zuschauer und ein Ende, das es sich in seiner Abruptheit fast etwas zu leicht macht, büßt der Film etwas an Qualität ein.
Autor: Christoph Uitz