Inhalt
24 Stunden aus dem Leben einer Frau. Charlotte ist 27, Redakteurin einer Frauenzeitschrift, zum zweiten Mal verheiratet, mit Sohn aus erster Ehe. Sie ist mit ihrem Geliebten, einem Schauspieler, zusammen, holt den Gatten, einen Piloten, vom Flughafen ab, verbringt mit ihm und einem Journalisten den Abend. Am anderen Tag erfährt sie, dass sie schwanger ist, weiß aber nicht von wem. Sie trifft den Geliebten im Kino des Flughafens Orly. Im Flughafenhotel lesen sie mit verteilten Rollen eine Abschiedsszene aus Racines "Bérenice".
Kritik
Der französische Regisseur Jean-Luc Godard (Außer Atem) ist schlicht und ergreifend ein interessanter Charakter. Das darf man auch zugeben, wenn man mit seinen Werken rein gar nichts anzufangen weiß und eher zähneknirschend wegschaut, sobald einer seiner Streifen auf irgendeine Oberfläche projiziert wird. Aber Interesse hat nichts mit Sympathien zu tun. Mehr noch, es ist sogar unabdingbar, dass Interesse von Sympathien strikt getrennt bleibt. Deshalb darf man sich auch mit Godard beschäftigen, wenn man ihn nicht mag - und sei es nur in Form des Überfliegens dieses Textes. Denn Godards Filme sagen immer unheimlich viel über den Mann hinter der Kamera aus, über seine Gedanken und Einsichten, Fragen und Träume. Über den Stand seiner Karriere, über den Grad seines Kulturpessimismus und nicht zuletzt über das Medium Film.
Ein allzu intellektueller und technisch selbstverliebter Stil wird ihm dabei immer wieder vorgeworfen. Godard allerdings kann auch Emotion. Schließlich leidet und lacht man oft mit seinen Charakteren, schließlich freut man sich mit ihnen und schließlich ist Godard der Erfinder von diesem seltsamen erwärmenden Humor, den Tarantino seinen Filmen immer wieder hinzufügt. Das Lachen über einen Umstand, der per sé nicht witzig ist. Das Piepen eines Autos zum Beispiel. Oder die Art, wie Anna Karina als Nana S. ihre Körpergröße misst. Emotion kann er, der Godard, hier kommt noch mehr dazu: Gefühl und Empathie. Die titelgebende verheiratete Frau heißt Charlotte und wird von Macha Méril gespielt. Sie ist das Subjekt der Begierde von zweierlei Männern und sie ist die Person, die Godard hier erforscht und der er ein Porträt erstellt.
Das beginnt damit, dass sich zu Beginn Hände auf einem weißen Bettlaken ertasten. Godard lässt es so aussehen, als würden die Hände die Leinwände der Lichtspielhäuser befühlen. Er schafft damit einen simplen aber potenzierten 3D-Effekt. Er überwindet sofort die Grenze zum Zuschauer, macht ihn nicht zum Voyeur oder Komplizen, sondern bringt ihn unheimlich nah an Charlotte heran, sodass es einem nicht einmal in den Sinn kommen würde, sie auch nur für eine Sekunde zu verurteilen. In aller Ruhe erforschen sich die beiden Liebenden im Bett, Godard inszeniert eine erotische Darstellung des weiblichen Körpers ohne je explizit zu werden. Ist es Liebe, wenn man sich nicht kennt? Nein, es sei Laster, sagt Charlotte. Godard spricht auch über das Kino, das keine Liebe erfährt, weil sich niemand ordentlich damit befasst.
Der Film zeigt den Alltag von Charlotte und ihre Situation an einem Scheideweg, wenn sie nicht weiß, ob sie sich für ihren Ehemann oder ihren Liebhaber entscheiden soll. Wenn sie nicht weiß, von wem das Kind ist. Beide Männer sind in ihrem Leben allumgeben und -umfassend. Beide Männer verlangen, fordern. Godard maßt sich dabei zu keiner Zeit an, selbst den absolut klaren Durchblick zu haben - viel mehr enthält er sich und dem Zuschauer immer wieder Informationen. Bei einem sozialen Abend zu dritt, sie, ihr Mann und ein intelligenter Herr, sehen wir die drei Personen jeweils einzeln im Bild. Charlottes Hintergrund ist dabei beinahe wie eine Leinwand. Das führt natürlich auch zurück zur Eröffnung des Films. Dort war sie körperlich nackt. Hier allerdings entblößt sie ihre Seele. Der Schlagschatten auf der Wand hinter ihr zeigt, dass sie beinahe einer Schauspielerin gleich auf der Bühne inszeniert wird. Es ist, als würde Godard Charlotte von Gast und Gatten trennen wollen. Sie ist der Teil der Konversation. Sie ist es nicht. Ihr werden Fragen gestellt, doch diese sind auf der Tonspur nicht enthalten; wir hören nur ihre Antworten und sehen, wie sie pausiert, um der Frage zu lauschen.
Auf den Godard-Zweifler mögen diese Ellipsen wieder ein Grund dafür sein, sich von dessen Arbeit abzuwenden. Was aber einmal mehr wichtiger ist als Sympathie und Geschmack: Interesse. Godard greift unheimlich viele Themen auf, sinniert über das Leben und den Menschen, seinen Verstand und Geist und hofft, eine Art Cluster für die Existenz auf Erden zu erstellen. Zusätzlich überlegt der französische Filmemacher, inwiefern Kunst einen Teil des menschlichen Daseins einnimmt. Er zeigt Kunstwerke auf einer Glas-Fläche, in der sich die Figuren spiegeln. Damit greift er einmal mehr direkt auf den Zuschauer über. Hier werden nämlich die Charaktere zum Rezipienten erster Klasse, während der Zuschauer zum Rezipienten zweiter Klasse wird. Er beobachtet beim beobachten.
Fazit
„Eine verheiratete Frau“ von Jean-Luc Godard ist ein erwärmender Film über die naiven Zweifel einer selbstbewussten Frau. In all den Szenen, in denen philosophiert, gelitten, gelacht und gerannt wird, nimmt Godard sich auch immer wieder Zeit, um Charlottes intensivsten Charakterzug zu offenbaren; ihre Unentschlossenheit. Dabei gelingt es ihm, sie als eine in ihren Gedanken verlorene Frau zu zeigen und so eine immense emotionale Wärme entstehen zu lassen. In diesen Momenten könnte „Eine verheiratete Frau“ der Film sein, der Godard für den Rest zugänglich macht.
Autor: Levin Günther