Die beste Szene in The Wolf of Wall Street ist nicht, wie Jordan Belfort seinen Sportwagen schrottet, Kleinwüchsige durchs Büro werfen lässt oder Kokain aus den Körperöffnungen attraktiver Damen schnieft. Die beste Szene ist so unscheinbar, dass sie in diesem Wust aus Exzess regelrecht verschluckt wird. Zu sehen ist der hauptverantwortliche FBI-Ermittler, der alleine in der U-Bahn sitzt und während Belfort selbst im Gefängnis den Luxus genießt, fährt der Beamte alleine und ohne Heldengesang nach Hause. Ein überaus bezeichnender Moment, für das gerade zu spöttische Kuriosum, dass Filme über Wirtschaftsverbrechen vor allem die Täter wie Rockstars aussehen lassen. Ob nun gewollt wie bei Martin Scorsese oder ungewollt bei Oliver Stone, dessen Gordon Gecko dank Wall Street zum regelrechten Vorbild avancierte, selbst wenn der eigentliche Film ihn als Schurken zeichnete. Auch The Big Short hatte mehr einen Blick auf die überkomplexen Abläufe des Finanzsystems und auf seinen All-Star-Cast, ließ den Kleinanlegern aber kaum Platz auf der Bühne. Wie auch, wenn stattdessen das Who-is-Who von Hollywood einem versucht zu erklären, wie es zum Platzen der Immobilienblase von 2007 gekommen ist. Wirklich schlauer war danach eigentlich niemand. Aber wenigstens gab es ein paar Oscars.
Und auch Dumb Money - Schnelles Geld gelingt es nie richtig jemanden, der von der Materie keine Ahnung hat, begreifbar zu machen, wie der Aktienhandel und alles drumherum funktioniert. Dafür versuchen Regisseur Craig Gillespie (I, Tonya) und die Drehbuchautorinnen Rebecca Angelo und Lauren Schuker Blum aber eben nicht nur den großen Haien im Wallstreet-Meer ein Gesicht zu geben, sondern auch denen, die oft von Analysten eher geringschätzig als Privatinvestoren bezeichnet werden. Dazu zählt z.B. Krankenschwester Jenny (America Ferrera, Barbie) oder der Angestellte Marcus (Anthony Ramos, Transformers: Aufstieg der Bestien). Ihnen und noch mehr versuchen die Macher*innen nicht nur ein Gesicht, sondern auch eine Stimme zu geben, was überaus ehrbar ist. Es bringt aber auch das Problem mit sich, dass der Kinofilm durch die ganzen Figuren aus allen Nähten platzt und von den Anlegern keiner wirklich ausgiebig genug poträtiert werden kann. Immerhin: Auch die u. a. von Seth Rogen, Nick Offerman und Vincent D'Onofrio gespielten Kapitalriesen haben erstaunlich wenig Leinwandpräsenz und dabei wird zumindest bei Rogens Figur der (halbherzige) Versuch unternommen, ihn mittels seiner Familie nahbarer erscheinen zu lassen, wie seine noch vermögenderen Kollegen, die passenderweise ein ausgewachsenes Schwein direkt in ihrer Küche füttern.
Familie wird in Dumb Money - Schnelles Geld wirklich sehr wichtig genommen. Auch Hauptfigur Keith Gill, schön dezent verkörpert vom The Batman-Schurken Paul Dano, wird nicht nur über sein Wissen und Faible zum Aktienmarkt definiert, sondern auch durch familiäre Beziehung. Craig Gillespie inszeniert mit sicherer Hand, aber ohne zu große emotionale Expositionen, wie wichtig Keiths Frau Caroline (Shailene Woodley, Catch the Killer), aber auch sein Stoner-Bruder Kevin (die perfekte Rolle für den The King of Staten Island, Pete Davidson) für ihn ist und fügt damit noch eine weitere Ebene hinzu. Alles zusammen ist das wirklich etwas zu viel des Guten, die Übersicht geht aber nie verloren, da sich die Geschichte nie von ihren Fokuspunkten trennt. Das sorgt zwar dafür, dass oft die Größe, der reine Ausmaß der Causa GameStop-Aktie etwas irrelevant erscheint, aber das ist insgesamt ein annehmbarer Preis, dafür, dass der Film auch denen ein Stückchen Spotlight bietet sowie gönnt, die ansonsten vergessen werden.
Das ist schon eine Menge wert, sehr viel sogar. Es mindert aber nicht die Enttäuschung darüber, dass der Erkenntnisgewinn am Ende eher gering ausfällt und die obligatorischen Erklärtexte kurz vorm Abspann zu sehr das Gefühl vermitteln, dass jetzt alles wieder gut ist. Insgesamt traut sich Dumb Money - Schnelles Geld viel zu selten, die hässliche Seite der Wahrheit offen zu zeigen. Bei der Wahl zwischen rigoroser Ehrlichkeit oder kurzweiligem Unterhaltungswert setzt der Titel klar auf letzteres. Wirklich übelnehmen kann man es ihm nicht und zu seiner Verteidigung, er hinterlässt durchaus Restpartikel in den Gedanken, über die man bei der Heimfahrt vom Kino in der U-Bahn nachdenken kann.