Der Großmeister des japanischen Kinos - Akira Kurosawa - hat mit Filmen wie Die sieben Samurai, Die verborgene Festung oder Yojimbo das weltweite Kino nachhaltig geprägt. Egal ob den Western, den Kriminalfilm oder Special Effects-Spektakel wie Star Wars; sie alle finden die Basis ihrer Elemente in Kurosawas Oeuvre. So ist es dementsprechend rührend, dass, als die Finanzierung von Kurosawas Filmen in Japan mit den Jahren immer diffiziler wurde, die größten Namen Hollywoods zusammenkamen, um dem Filmemacher, ihrem Vorbild, unter die Arme zu greifen. Akira Kurosawas Träume ist ein Film, der Steven Spielberg (zwischen Indiana Jones 3 und Hook) als ersten Produzenten nennen kann. Ein Film, dessen Effekte von George Lucas’ ILM-Schmiede gestaltet wurden (Lucas war Gott sei Dank grad eh arbeitslos). Und ein Film, in dem niemand geringeres als Martin Scorsese (im gleichen Jahr wie Goodfellas - Drei Jahrzehnte in der Mafia) einen Auftritt als Vincent Van Gogh hat.
Der Film unterteilt sich in acht Episoden, die allesamt auf wirklichen Träumen von Kurosawa beruhen. Auch wenn die Episoden untereinander recht wenig zu tun haben und nie die gleichen Figuren auftreten, gelingt es dem sensei eine übergeordnete Geschichte mit dem Film zu vermitteln. Die Geschichte eines Lebens, seines Lebens, die Geschichte eines Künstlers. Als kleiner Junge in „Sonne, die durch den Regen scheint“ und „Der Pfirsichgarten“, als erwachsener Mann in Begegnungen mit dem Tode („Schneesturm“, „Der Tunnel“, „Fuyijama in Rot“), als desillusionierter Zeuge des Untergangs der Menschheit in „Der weinende Dämon“ und schließlich als versöhnlicher Herr, der das Leben feiert in „Das Dorf mit den Wassermühlen“. Irgendwie ist das irgendwo natürlich stets autobiographisch geprägt - wenn auch nicht stets im klassischen, direkten Sinne. Natürlich hat Kurosawa nie Vincent Van Gogh persönlich getroffen, aber er ward von dessen Kunst inspiriert. Gleiches Spiel für diesen Autor. Natürlich hat er nie Kurosawa getroffen und doch lernt er ihn immer besser kennen. Stück für Stück, Film für Film.
Zu Beginn erzählt Kurosawa von Episoden des Erwachsenwerdens. Ein kleiner Junge lugt hinter einen verbotenen Vorhang und muss fortan seine Schuld reinwaschen. Entweder müsse er sich töten oder die Beobachteten um Verzeihung bitten. In der zweiten Episode wird ein Junge mit den Sünden seiner Vorfahren konfrontiert und so über Pflichten, Tugenden und Anstand durch die Episode geleitet. In seinen Werten ist das oft zutiefst japanisch, was Kurosawa hier zeigt, dennoch stets greifbar und vor allem präzise ausgearbeitet. Von diesen anfänglichen noch recht unschuldigen Träumen arbeitet der Film sich zu seinem weitaus düstereren Mittelteil. Platz wird gemacht für die dunklen, die lauten, die zischenden und qualmenden, die verstörenden Träume. Die, in denen sich der Regisseur mit der Hässlichkeit der Welt und Menschheit beschäftigen will. Von einem überlebenden Offizier, dessen komplettes totes Bataillon ihn heimsucht, über eine atomare Katastrophe in der Nähe von Tokyo bis zum Ende jeglicher Menschlichkeit.
In „Der weinende Dämon“ stolpert ein Mann durch eine verrottete Gebirgslandschaft und stößt plötzlich auf einen Dämon. Die beiden unterhalten sich eine Weile. Darüber, wie die Welt vor die Hunde gegangen ist. Wie es beinahe keine Lebewesen mehr gebe und die meisten Pflanzen verkümmert sind. Kurz; wie der Mensch die Erde vollends erschöpft hat. Die Welt nach der Atomkatastrophe. Der Dämon führt den Streuner zu einem Ort, der der Wasserstelle aus dem ersten Kapitel von 2001: Odyssee im Weltraum gleicht. Dem Ort, bei dem die Affen zum ersten mal aus Gier ihre Waffen gegeneinander nutzen. Dort, wo die Unschuld für immer verloren ging. Hier sind auch mehrere Dutzend Lebewesen um den Teich verteilt. Doch die Erde ist schwarz verbrannt und der See ist blutrot. Jegliche Dämonen leiden und ächzen sich die verlorene Seele aus dem Leib. Sie sind blind und taub den Schmerz des Nächsten, einzig mit sich selbst beschäftigt. Damit, auf ewig dem Leiden verdammt zu sein.
Doch obwohl Kurosawa äußerst pessimistisch und erbarmungslos mit der Menschheit vor Gericht zieht, kann er auch hoffnungs- und liebevoll agieren. So vor allem in der Episode „Krähen“, jener berühmten Van Gogh-Folge. Diese Folge hat einen äußeren Rahmen. Ein erwachsener Japaner, der Streuner aus „Der weinende Dämon“ begutachtet Bilder des Künstlers in einem Museum. Plötzlich findet er sich als Hobbymaler in dem Gemälde wieder und macht sich auf die Suche nach dem Künstler. Van Gogh redet über sein Schaffen, seine Vorgehensweise und darüber, dass er jetzt echt keine Zeit für Plaudereien habe. Er müsse malen. Die Sonne zwinge ihn dazu. Der Japaner will Van Gogh hinterherrennen und jagt ihn durch viele bekannte und wunderschöne Kunstwerke des Malers. Der Künstler an sich mag unauffindbar sein. Aber in den unzähligen Strichen und Fugen, den Farben und Schwingungen lebt er fort. Unveränderlich, unzerstörbar, unsterblich.