Zu seiner Zeit stark polarisierend, hat sich Dogville, der erste Teil aus Lars von Triers (Melancholia) “USA - Land of Opportunities”-Trilogie, über die Jahre hinweg bewährt und gilt heute als einer der vielen Klassiker, die der Däne über die Jahre hinweg hervorgebracht hat. Die Parabel über ein leicht zu übersehendes Örtchen irgendwo in den Bergen der Rocky Mountains ist insbesondere zu Zeiten von #metoo von höchster Aktualität und verdient sich mit der Art, in der von Trier Machtdynamiken diskutiert, eine erneute Sichtung.
8Die Prämisse ist denkbar simpel. In Dogville, einer verlassenen Minenstadt in den Rockies, ticken die Uhren anders. Seine Bewohner, die im Prolog als liebenswürdige, einfache Menschen vorgestellt werden, erinnern in ihrer Einfachheit an die Hobbits aus Tolkiens Lord of the Rings: Menschen, die an nichts interessiert sind, was dem gängigen Tagesablauf im Weg stehen könnte. Herein in dieses Kleinod tritt eines Tages die schöne Grace (Nicole Kidman, Eyes Wide Shut), augenscheinlich auf der Flucht vor einer Gangster-Bande. Sie läuft Thomas “Tom” Edison (Paul Bettany, Ritter aus Leidenschaft ), einem uninspirierten, angehenden Schriftsteller und der Autorität innerhalb der Gemeinschaft von Dogville über den Weg, der sich recht schnell angetan von ihr zeigt. Die Herausforderung besteht nun darin, die Einwohnerïnnen davon zu überzeugen, dass es das Risiko wert ist, Grace in die Gemeinschaft aufzunehmen und vor den Gangstern zu verstecken. Diese bietet nun allen ihre Hilfe an, um in deren Gunst zu steigen. Muss sie zu Beginn noch förmlich darum betteln, ihnen zur Hand gehen zu dürfen, so beginnen sich die Machtverhältnisse allmählich zu verändern; die Hilfe, die zunächst abgelehnt wird, stellt sich zusehends als Annehmlichkeit heraus, auf die die Einwohnerïnnen nicht länger bereit sind zu verzichten. Einher geht diese Entwicklung mit einer Degradierung Grace’, die man nur weiterhin bereit ist, zu verstecken, wenn diese ihre nunmehr Pflichten erfüllt.
Das Drehbuch allein, von dem Quentin Tarantino einst behauptete, es hätte, als Theaterstück erschienen, den Pulitzer Preis gewonnen, leistet einen wesentlichen Beitrag für den Erfolg des Stücks. Wie im Brechtschen haben wir es hier mehr mit Stellvertreterfiguren zu tun, die Charaktere sind schablonenhaft angelegt, um bestimmte Handlungsweisen und -muster zu exemplifizieren. Nur folgerichtig verfrachtet von Trier dann auch alles aus dem Sichtfeld der Kamera, was für seine Vision abdingbar ist. Die Stadt Dogville wird lediglich durch Kreidezeichnungen auf dem Boden entworfen, die Hausfassaden müssen sich mit hilfe der Umrisszeichnungen auf dem Boden vorgestellt werden. Die ausbleibende Bebilderung der umliegenden Berge funktionalisiert somit die Ästhetik, ordnet sie strikt der Milieubeschreibung unter. Gleich einer minimalistischen Theaterinszenierung sind wir Zuschauerïnnen nicht nur dazu eingeladen oder gar aufgefordert, uns die Häuser, die Türen, die Fenster vorzustellen, es ist eine zwingende Voraussetzung.
Es handelte sich indes nicht um von Trier, würde er uns mit diesem Konzept nicht auch herausfordern. Wenn wir zu Zeugen von, bisweilen habitualisierter, Gewalt in einer Welt unsichtbarer Wände werden, wirft dies eine ganze Reihe von Fragen auf. Geschehen diese Gewaltakte tagtäglich auch in unserem näheren Umkreis. Und wenn ja, was lässt uns glauben, dass es Wände zwischen uns und diesen Vorfällen, zwischen uns und den Opfern gibt? Es ist ein Thema, das Lars von Trier in all seinen Filmen verfolgt: die Beziehung von Täter und Opfer. Fernab davon, diese als determinierende Antipode zu begreifen, erforscht er stattdessen, wie leicht sich eine solche Machtbeziehung ins Gegenteil verkehren kann.