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Inhalt

Als es eines Abends nach Sprechstundenende an der Praxis-Tür der jungen Ärztin Jenny (Shooting-Star Adèle Haenel) klingelt, öffnet sie nicht, weil sie gerade ihren neuen Kollegen vorgestellt werden soll. Am nächsten Tag erfährt sie von der Polizei, dass eine unbekannte, junge Frau tot aufgefunden wurde. Von Schuldgefühlen geplagt, stellt Jenny private Nachforschungen an, um mehr über die Identität der Verstorbenen herauszufinden.

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Quelle: themoviedb.org

Kritik

Als gerngesehene Gäste auf den internationalen Filmfestspielen von Cannes sind die belgischen Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne (Rosetta) aus der europäischen Kinolandschaft kaum mehr wegzudenken. Ihre Filme zeichnen sich vor allem durch ihren natürlichen Blick, ihre ehrliche und zumeist auch herrlich treffende Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen aus. Soziologie als Thema, ein konzentrierter Einblick auf das echte Leben im Kino. Auch ihr neuestes Werk Das unbekannte Mädchen verfügt über diesen Anspruch. Im Zentrum befindet sich Jenny, eine junge und vorbildlich motivierte Ärztin, die jedoch eines Tages einen für sie folgeschweren Fehler begeht. Als es eine Stunde nach Ende ihrer Sprechstunde nochmal an ihrer Türe klingelt, macht sie nicht auf. Am nächsten Morgen wird die Leiche eines jungen Mädchens gefunden, ebenjenes Mädchen wollte am Abend zuvor bei Jenny Unterschlupf suchen. Um ihr Gewissen zu erleichtern beginnt die Ärztin eigene Ermittlungen.

Wie schon in ihrem letzten Film, Zwei Tage, eine Nacht, steht auch bei Das unbekannte Mädchen eine starke Frauenfigur im alleinigen Mittelpunkt des Films. Obwohl Adèle Haenel (Nocturama) weder an die Natürlichkeit noch an die Intensität einer Marion Cotillard (Einfach das Ende der Welt) heranreicht, stellt sie dennoch gelungen unter Beweis, dass in den kommenden Jahren durchaus mit ihr zu rechnen ist. Die junge Ärztin Jenny spielt sie mit einer Mischung aus unverbrauchtem Idealismus und alltäglichem Charisma, was sie fast schon einen Tick zu einnehmend für die unscheinbare Figur macht. In ihrer aufopferungsvollen Hingabe für ihre Tätigkeit als Ärztin trägt sie Teile einer sehr naiven, aber durchaus liebenswerten Weltretter-Mentalität in sich, und dennoch handelt der Film vor allem von persönlichen Problemen. Denn in der investigativen Suche nach dem Namen des toten Mädchens liegt weniger der Drang das „richtige“ zu tun, sondern vielmehr die Hoffnung sich von eigenen Schuldgefühlen reinzuwaschen.

So ist Das unbekannte Mädchen vor allem in der ersten Hälfte ein interessant erzähltes Drama, weil die Dardenne-Brüder nah bei ihrer Hauptfigur bleiben und deren Alltag langsam mit nagender Schuld durchwirken. Vieles wird nur angedeutet, kurz gezeigt, aber weder kommentiert noch ausgeführt, was einen interessanten Blickwinkel auf die Protagonistin erlaubt. Auf gewohnt natürliche, fast schon dokumentarische Art inszeniert, fungieren Kamera und Schnitt in erster Linie als bloße Bestandsaufnahme, gleichsam jedoch immer dazu bereit in den entscheidenden Momenten das gezielt einzufangen, was es einzufangen gilt. Ein Stil, der seine Wirkung verfehlt, wenn in der zweiten Hälfte vermehrt Kriminalelemente zum Einsatz kommen und es eben auch darum geht eine äußerliche Spannung aufzubauen, die mit den inneren Konflikten von Jenny konkurriert.

Themen wie die Prostitution Minderjähriger oder die missliche Flüchtlingslage werden so nebensächlich angeschnitten, als lohne es sich gar nicht darüber zu diskutieren. Immerhin die sozialen Missstände in der belgischen Gesellschaft bringt Das unbekannte Mädchen in der Gegenüberstellung von Jenny und ihren Patienten fast durchgängig zum Ausdruck, obwohl die Gebrüder dabei so erpicht darauf scheinen auf keinerlei Weiße zu moralisieren – etwas woran sie in der letzten Szene dennoch scheitern – dass sie auch eine Aussage dahinter vergessen haben. Letztlich endet der Film zu versöhnlich, zu abrupt inmitten eines noch nicht vollständig ausgeführten Gedankengangs und so bleiben die Dardenne-Brüder etwas zu oberflächlich hinter ihrem eigenen Anspruch zurück.

Fazit

In „Das unbekannte Mädchen“ reichen sich der harsche Sozialrealismus der Dardenne-Brüder und für sie ungewohnte Krimi- und Thrillerelemente die Hand – bekommen einander jedoch nie wirklich zu fassen. Die Frage nach Schuld, Verantwortung und Aufarbeitung des Todes eines jungen Mädchens verhandelt der Film im Alltag einer idealistischen Ärztin, die zwar wie alle Figuren zweifelsohne aus dem echten Leben stammt, aber gleichsam nur wenig darüber zu erzählen hat.

Kritik: Dominic Hochholzer

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