Der Moviebreak Horroctober: 28.10.2015 (Geheimtipps)
Und schon wieder neigt sich unsere nächste Kategorie dem Ende entgegen. Ab morgen gibt es dann noch ein dreifaches Querbeet-Sammelsurium und dann ist unser Horroctober auch schon wieder vorbei - wie die Zeit doch vergeht. Jetzt allerdings wünschen wir euch noch einmal viel Spaß mit unserem letzten Geheimtipp!
„Wenn auf einem Ort ein Fluch liegt, dann auf diesem hier.“
„Die toten Augen des Dr. Dracula“, was für ein Titel. Was für ein bekloppter Titel. Ein Highlight aus dem Schaffen des italienischen Genre-Mitbegründers Mario Bava („Lisa und der Teufel“) muss diesen irreführenden und unsinnigen Namen tragen, was kein rein deutsches Problem ist. So wenig wie mit dem berühmten Grafen hat der Film etwas mit einem 70er-Exploitationfilmchen zu tun, wie es der international Titel „Kill, Baby…Kill“ suggerieren mag. Da wartet man praktisch auf Christopher Lee („Dracula“) oder Peter Fonda („Mach ein Kreuz und fahr zur Hölle“), zumindest zu Ersterem kann ein Bezug aufgebaut werden. Nicht zu Lee, nicht zu Dracula (auch wenn es die deutsche Synchro einem kurz vor Schluss ganz verschämt versucht noch unterzumogeln, dafür kann Bava ja nichts), aber zu den Filmen der HAMMER-Studios („Nächte des Grauens“) wie den freien Poe-Adaptionen der frühen 60ern von Roger Corman („Satanas – Das Schloss der blutigen Bestie“). Bava erschafft eine Kreuzung und abstrakte Symbiose aus ihnen, mit seiner ganz eigenen Handschrift.
Rein formal befinden wir uns zunächst exakt dort - in diesen abgeschiedenen Gemeinden irgendwann um die vorletzte Jahrhundertwende -, wo dichter Kunstnebel den Boden gespenstisch bedeckt, sich die verschlossenen Bürger nur in der Taverne versammeln und Fremden grundsätzlich mit einer abschreckenden Skepsis begegnen, da sie nur versuchen sich mit dem Grauen möglichst unbeteiligt zu arrangieren, das sie seit einem gewissen Punkt heimsucht. Der Unfalltod (oder Mord?) an einer Einwohnerin, aufgespießt durch einen Zaun, sorgt für das Auftauchen eines Inspektors und den zur Obduktion georderten Mediziners, deren Ermittlungen auf eine Mauer des Schweigens und Angst prallen. Niemand will wissen, wieso und warum die Frau ihr Leben lassen musste, insgeheim weiß es eh jeder. Was nach dem Vertuschen eines Verbrechens riecht ist eine Kapitulation vor einem grausamen Fluch. Nicht schwer zu erahnen und für den vollständigen Filmgenuss auch nicht zwingend zu verschweigen, das dürfte klar sein. Wie bei HAMMER, Corman oder eben auch Bava üblich, ist die Story nur Mittel zum Zweck, die eigentliche Qualität liegt in der Umsetzung. Und genau da wird die Latte enorm hoch gelegt. Bava ist nicht umsonst der geistige Vater von Dario Argento („Suspiria“), der ihm in den 70ern den Rang als bedeutendster Genre-Regisseur Italiens ablief, sich dafür eindeutig auf seine Vorarbeit stützt. Ohne Bava kein Argento, um es einfach zu formulieren.
Mit „Blutige Seide“ schuf er das Mutterschiff der Gialli, mit „Die toten Augen des Dr. Dracula“ die Weiterentwicklung der klassischen Gruselgeschichten hin zum sinnlichen Erlebnis-Kinos, was Argento in der Folgezeit dankend aufgriff. Das mitunter steife und hölzerne Spiel der Darsteller fällt nicht weiter ins Gewicht, alles steht und fällt mit dem Rausch der Inszenierung. Besonders die Farbe Grün scheint es Bava hier angetan zu haben, selbst die zahlreichen Spinnennetze in den Ecken schillern nur so vor sich hin. Alles wird für den Moment und seine Wirkung kreiert, und die haben es in sich. Schaurige Kinder, verfluchte Orte und totgeschwiegene Ereignisse gab es und gibt es immer wieder, so exzellent verpackt in surrealen Albtraumszenarien, be- und ausgeleuchtet mit der Hand eines wahren Künstlers nur selten, jeder Moment lebt und atmet bei Bava mit voller Inbrunst. Ein sich bewegendes Gemälde, bei dem kein Detail lieblos oder willkürlich erscheint, sich daraus ein Sog erzeugt, der zum Staunen und Genießen einlädt. Bald blasphemisch könnte „Operazione paura“ unter heutigen Sehgewohnheiten als trashiges Nostalgieprodukt betrachtet werden, damit hat der Film aber genau so viel zu tun wie mit seinen albernen Alternativiteln. Hier wird großartiges, atmosphärisch fesselndes, kreatives Genrekino aufgefahren, das sich von herkömmlicher Hausmannskost zu einem bizarren Prachtstück entwickelt, in dem der Wahnsinn einen auch faktisch selbst einholt.