»Ich habe den großen Leuten mein Meisterwerk gezeigt und sie gefragt, ob ihnen meine Zeichnung nicht Angst mache.
Sie haben mir geantwortet: ›Warum sollen wir vor einem Hut Angst haben?‹
Meine Zeichnung stellte aber keinen Hut dar. Sie stellte eine Riesenschlange dar, die einen Elefanten verdaut...«
- Antoine de Saint-Exupéry, Der kleine Prinz
Kaum jemand, dem Saint-Exupérys Geschichte um den in der Wüste gestrandeten Piloten und den rätselhaften kleinen Prinzen, der nie eine Frage vergisst, wenn er sie einmal gestellt hat, nicht kennt. Es ist ein zeitloses Märchen über Freundschaft und die Macht der Phantasie. Das zu verfilmen ist ein ehrgeiziges Unterfangen — und wenn dann noch die Originalerzählung mit einer neuen Rahmenhandlung versehen und weitergesponnen wird, mag doppelte Skepsis angebracht sein. Kann man denn ein solches Buch verfilmen? Sollte man das?
Regisseur Mark Osborne (»Kung Fu Panda«) hat es jedenfalls einfach getan und legt den Fokus zunächst nicht auf die Geschichte des kleinen Prinzen, sondern auf die eines kleinen Mädchens in der Gegenwart. Dessen alleinerziehende Mutter träumt davon, die Kleine auf der Eliteschule Werth-Akademie zu sehen — eine Anspielung auf León Werth, »als er noch ein Junge war«, dem Saint-Exupéry sein Buch widmete. Das ganze Leben des kleinen Mädchens wird in den Dienst dieses Ziels gestellt und von der Mutter rigoros durchgeplant. Ihre Tage verbringt die Kleine am Schreibtisch über Algebra-Aufgaben und ist alles in allem bereits eine wunderbare kleine Erwachsene.
Wäre da nicht der Kindskopf von nebenan — der verkrachte Pilot in seinem heruntergekommenen Haus, der ein Flugzeug in seinem Garten stehen hat, vollkommen chaotisch ist und immer ein Sandwich in der Tasche hat, falls er wieder einmal irgendwo umfällt. Er ist es, der das kleine Mädchen mit viel Geduld, zu Papierfliegern gefalteten Buchseiten und einem kleinen Plüschfuchs den Weg zurück zum echten, unbeschwerten Kindsein bereitet — indem er sie die Geschichte des kleinen Prinzen entdecken lässt.
Während die Rahmenhandlung um den Piloten und das kleine Mädchen auf erstaunlich liebevolle und detailreiche 3D-Animation setzt, wird der Strang um den kleinen Prinzen in nostalgisch-zauberhafter Stop-Motion-Technik mit buntem Papier erzählt und fängt den Charme des Buchs auf ganz eigene Weise ein. Wer die Geschichte kennt, mag sich hier allerdings wundern, dass insbesondere Vorgeschichte und Reise des kleinen Prinzen sehr rasch heruntererzählt werden, was zunächst durchaus bitter aufstoßen kann. Der Fortgang der Handlung enthüllt dann aber, zu welchem Zweck: Mit der Rückkehr des kleinen Prinzen zu seinem Planeten ist keineswegs das Ende des Films erreicht. Der Zuschauer erahnt bereits, was das kleine Mädchen sich nicht eingestehen mag: Der alte Pilot, ihr einziger Freund, bereitet sie damit auf seinen eigenen Abschied vor.
Worauf die Kleine mit Trotz reagiert und gleichsam den zweiten Teil der Rahmenhandlung einleitet: »Aber woher weißt du denn, dass der kleine Prinz auf seinem Planeten ist? Was, wenn er erwachsen geworden ist und alles vergessen hat?« Von ihrer Mutter zu Erwachsenendenken, Rationalität und Effizienz erzogen, ist sie noch nicht bereit, mit dem Herzen zu sehen, wie es der Fuchs seinen kleinen Prinzen gelehrt hat. Doch als der Pilot schwerkrank ins Krankenhaus eingeliefert wird, bringt das kleine Mädchen mit dem Plüschfuchs das verwahrlose Flugzeug wieder in Gang — und geht auf eine Reise, die sie auf einen beklemmenden Planeten führt, von dem der Pilot nie erzählt hatte, geradewegs zum Prinzen und allen möglichen Gestalten, die diesem damals auf seiner eigenen Reise begegneten: Geschäftsmann, König und Eitler.
Der Film denkt also Saint-Exupérys Geschichte weiter, und diese Freiheit wird sicherlich nicht jedermanns Geschmack treffen. Gleichzeitig merkt man jeder Szene, jeder Dialogzeile und jeder Figur den Respekt vor Saint-Exupérys Werk an. Der Faden der Originalhandlung ist konsequent weitergesponnen, alle Entwicklungen erscheinen stimmig im Hinblick auf das, was der Autor selbst in seinem Buch vorbereitet hat, und so gelingt der Verfilmung das Kunststück, dass dieser moderne Handlungsbogen trotz aller Kontraste zur Originalgeschichte selbst auf wundersame Weise stimmig wirkt. Worauf das alles hinausläuft, ist wiederum recht vorhersehbar, aber so warmherzig umgesetzt, dass dem Kinobesucher schon einmal die Augen feucht werden können.
Punkten kann »Der kleine Prinz« vor allem dadurch, dass er gekonnt die Zeitlosigkeit von Saint-Exupérys Erzählung aufzeigt und in eine neue Handlung einflicht. Dabei arbeitet der Film mit besonderem Nachdruck heraus, dass »Der kleine Prinz« im Grunde als eine Geschichte über den Tod gelesen werden kann: »Es wird aussehen, als wäre ich tot, und das wird nicht wahr sein […]. Ich kann diesen Leib da nicht mitnehmen. Er ist zu schwer. […] Aber er wird daliegen wie eine alte verlassene Hülle. Man soll nicht traurig sein um solche alten Hüllen …« Der Fokus auf diese Botschaft verleiht dem ansonsten mit Leichtmut inszenierten Film einen ernsten, ja wehmütigen Unterton, der sich aber gut in den Gesamtverlauf einfügt.
Außerdem besticht »Der kleine Prinz« besonders durch seine enorme Liebe zum Detail und den zahlreichen kleinen Referenzen in Richtung des Buchs, selbst da, wo es vordergründig um die Rahmenhandlung geht. Die Beziehung zwischen dem kleinen Mädchen und der ehrgeizigen Mutter wird ebenso sorgsam in Szene gesetzt wie die Freundschaft zwischen der Kleinen und dem Piloten, und über den abwesenden Vater des Mädchens wird verblüffend viel in wenigen Worten und Bildern transportiert. Auch wenn die Handlung insgesamt kaum überraschende Wendungen aufweist, ist »Der kleine Prinz« erzähltechnisch durchaus ansprechend umgesetzt und weiß nicht nur zu unterhalten, sondern den Zuschauer auch in den Bann seiner Farben und Klänge zu ziehen. Was die Musik betrifft, so überraschen vor allem die Titel der französischen Sängerin Camille dadurch, wie gut sie sich in die Geschichte um Piloten, Füchse und ferne Rosen einfügen.