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Inhalt

Der Gefreite Willi Herold hetzt zum Ende des Zweiten Weltkriegs hin durchs Gehölz. Wie durch ein Wunder entgeht Herold seinen Jägern und irrt nun - verfolgt von Bauern, die er bestiehlt um zu überleben und der eigenen Truppe, die ihn für einen Deserteur halt - durch die unerträgliche Einöde des Emslandes. Durchnässt, verschlissen und halbverhungert und kurz vor dem Erfrierungstod, macht Herold einen folgenschweren Fund: Eine mit Orden behangene Hauptmanns Uniform der Luftwaffe. Herold zögert nicht lange und tauscht seine einfache, völlig zerschlissene Uniform gegen die nagelneue eines Hauptmanns. Die Verkleidung als falscher Hauptmann verschafft ihm umgehend Befehlsgewalt versprengte Soldaten schließen sich ihm an, die "Kampftruppe Herold" für "Sonderaufgaben" formiert sich rasend schnell. Marodierend ziehen sie von nun an durch das sich auflösende Nazideutschland und nehmen sich was sie wollen.

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Quelle: themoviedb.org

Kritik

Wie ein unheilvolles Artefakt hängt die Hauptmannsuniform an der Wand, als der Titelschriftzug von Robert Schwentkes (Tattoo) neuem Film Der Hauptmann zum ersten Mal nach gut 15 Minuten der Laufzeit eingeblendet wird. Unterlegt von ungemütlichen Klängen, die an nervenzerreißende Industrial-Musik erinnern, erhält das ansonsten neutrale Kleidungsstück eine geradezu mythologische Bedeutung, der der Regisseur im Verlauf seines düsteren, brutalen Films auf den Grund geht. Gefunden wird die Uniform zu Beginn von dem flüchtigen Soldaten Willi Herold, der von einer Truppe ebenfalls deutscher Soldaten wie ein wildes Tier durchs Unterholz gejagt wird. Im April 1945 setzt die Handlung des Films an, der Zweite Weltkrieg ist für Deutschland verloren. In einer ebenso wirren wie chaotischen Weltuntergangsstimmung siedelt Schwentke die Ereignisse des Films an, in der zahlreiche deutsche Soldaten Fahnenflucht begehen wollen, was von den übriggebliebenen Anhängern der Wehrmacht umgehend mit dem Tod bestraft wird. 

Auch Herold scheint einer dieser verzweifelten Deserteure zu sein, obwohl der Regisseur die Hintergründe über seine Hauptfigur bewusst offenlässt und der Zuschauer nichts über die Motivation des Protagonisten erfährt. Wichtig ist nur, dass ihm die Flucht und zugleich Tarnung gelingt, als er eine Offiziersuniform eines Hauptmanns der Luftwaffe findet, die völlig verlassen in einem Fahrzeug am Straßenrand auf einen neuen Besitzer zu warten scheint. Herold zögert nicht lange und streift sich die Uniform über, um anschließend einem versprengten Soldaten namens Freytag zu begegnen, der sich dem augenscheinlichen Hauptmann direkt unterwirft. Dieser kurze Beweis des blinden Machtgehorsams sowie der Obrigkeitshörigkeit ist der Startschuss für eine albtraumhafte Odyssee mitten in das Herz des Faschismus, den Schwentke in diesen letzten Zügen, in denen das deutsche Reich zu diesem Zeitpunkt lag, noch einmal in seiner ganzen diabolischen Grausamkeit heraufbeschwört.

Von den glatten Zügen von Hollywood-Produktionen wie R.E.D. - Älter, Härter, Besser, R.I.P.D. - Rest in Peace Department, Die Bestimmung - Insurgent und Die Bestimmung - Allegiant, die der Regisseur zuletzt in Amerika für große Studios drehte, ist in Der Hauptmann nichts mehr zu spüren. Den finsteren Schwarz-Weiß-Bildern von Kameramann Florian Ballhaus ist vielmehr eine verstörende Drastik eingeschrieben, mit der sich Schwentke abstoßenden, bisweilen kaum erträglichen Vorbildern wie Pier Paolo Pasolinis Die 120 Tage von Sodom annähert. Schonungslos mischt der Regisseur psychologische Aspekte wie den Zerfall der menschlichen Seele in Zeiten des Nationalsozialismus mit explizit geschilderten Details, beklemmenden Andeutungen und mitunter überhöhten Stilmitteln der Groteske, um sein Porträt des versehentlichen Hauptmanns, der sich nach und nach in einen absurden Tötungsrausch steigert, zu verwirklichen. Dass dieser Willi Herold tatsächlich existiert hat und die Geschichte somit auf wahren Tatsachen beruht, macht den Film nur noch unbequemer. 

Dabei konzentriert sich der Regisseur nach anfänglicher Einführung, bei der sich Herold, Freytag und eine kleine Truppe weiterer Soldaten, die Herold auf einem Bauernhof vorfindet, zum sogenannten Kampftrupp Herold zusammenschließen, auf eine besonders scheußliche Passage dieser historischen Begebenheit. Im Strafgefangenenlager Aschendorfermoor, das auch als Lager II bezeichnet wurde, nistet sich Herolds Kampftrupp ein, um die unübersichtliche Situation der Gefangenen, die eigentlich der Justiz unterstellt sind und über die die dortigen SA-Männer nicht verfügen dürfen, kurzerhand selbst zu entscheiden. Als absurde Rechtfertigung gibt Herold dabei, wie so oft in diesem Film, lediglich an, ihm wurde eine Vollmacht von ganz oben, vom Führer höchstpersönlich, erteilt. Hinterfragt wird dieser Befehl dabei so gut wie nie, was dem Hauptmann freie Hand gewährt und schließlich zu einem regelrechten Massaker führt, bei dem der Protagonist jeglichen Rest von Menschlichkeit endgültig ablegt.

Eindringlich und erschreckend spielt Max Hubacher (Nichts passiert) die Hauptfigur zunächst als notgedrungenen Schauspieler, der rasend schnell mit seiner eigenen Rolle verschmilzt. Seine Machtposition scheint vollständig Besitz von ihm zu ergreifen, während sich die grundsätzlich weichen, fast schon jugendhaften Gesichtszüge des Protagonisten zunehmend in ein eisiges Antlitz verwandeln, das emotionslos den Befehl zum Töten erteilt oder sich kein bisschen verzieht, sobald Herold selbst zur Waffe greift und zum Henker wird. Neben Milan Peschel (Halt auf freier Strecke), der in der Rolle des Freytag den innerlich zerrissensten Charakter spielt, verkörpert Frederick Lau (Victoria) seinen Soldaten Kipinski als ungestümes Tier, das bei jeder Gelegenheit über wehrlose Opfer herfällt. In dieser Figur spiegelt sich Schwentkes inszenatorischer Ansatz, der Subtilität vollkommen ablegt und stattdessen auf wirkungsmächtige Intensität setzt, am besten wider. 

Völlig frei von Identifikationsfiguren ist Der Hauptmann eine offensive, manchmal etwas arg plakative Studie der Gewalt und eine radikale Beobachtung faschistischer Mechanismen, die stellenweise gar ins Groteske kippt, ohne den realistischen Ernst der jeweiligen Situation jemals zu überschatten. Nur im Abspann schießt der Regisseur über das Ziel hinaus, wenn der Kampftrupp Herold Passanten auch noch in der heutigen Gegenwart terrorisiert. Eines der finalen Bilder, in denen Herold im Wald auf einem Feld von Skeletten steht und schließlich in den Wäldern verschwindet, wäre stattdessen ein idealer, surrealer Endpunkt für diesen Wahnsinn gewesen.

Fazit

Mit „Der Hauptmann“ kehrt der deutsche Hollywood-Regisseur Robert Schwentke wieder in sein Heimatland zurück, um glatte Studio-Schauwerte vollständig hinter sich zu lassen und eine düstere, verstörende Studie über blinden Machtgehorsam, extreme Gewaltexzesse und faschistische Mechanismen abzuliefern. Die wahre Geschichte des deutschen Soldaten Willi Herold, der in eine gefundene Hauptmannsuniform schlüpft und sich rasend schnell in einen grausamen Henker mitsamt gehörigem Todeskommando verwandelt, erzählt der Regisseur dabei zwischen psychologischen Abgründen, expliziter Grausamkeit, schwer erträglichen Andeutungen und grotesken Einschüben als surreales Theater, das einen besonders unangenehmen Blick auf eines der gefürchtetsten Kapitel der deutschen Kriegsvergangenheit richtet.

Kritik: Patrick Reinbott

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