Es bringt eine besondere Faszination mit sich, dass ein Film, der formell zwar so aus der Zeit gefallen zu sein scheint, aber der sein Retro-Setting so unaufdringlich mit sich zieht und ein derartig grundsätzliches Thema behandelt, das aus ihm eine zeitliche Verwaschenheit spricht, nun einen der ersten Kinostarts nach der Corona bedingten Zwangspause einnimmt. Haben sich die letzten Wochen und Monate nicht auch gleichzeitig wie ein Wimpernschlag und eine halbe Ewigkeit angefühlt? Blickt man nicht heute schon mit einer eigenartigen Nostalgie auf die Normalität zurück, die sich gestern noch abgespielt hat? Die Stimmung von Der Geburtstag hat eine ähnliche Uneindeutigkeit, eine ähnliche Zeitvergessenheit, so dass das Vorgeführte gleichzeitig lange in der Vergangenheit und doch ganz nah an uns dran zu sein scheint.
Das Thema das Filmes könnte dabei kaum gegenwärtiger sein: Matthias (Mark Waschke, Dark) hat sich gänzlich von seiner Familie entfremdet, scheint ein vereinzeltes Dasein zu hegen, in dem er leidenschaftslos von Aufgabe zu Aufgabe hetzt und dabei niemandem wirklich gerecht werden kann. Weder seiner Ex-Frau Anna (Anne Ratte-Polle, Undine) , die nahezu alleine die Verantwortung für den gemeinsamen Sohn Lukas (Kasimir Brause) übernimmt. Noch Lukas selbst, dessen Geburtstagsgeschenk er vergisst und gleichzeitig sein Versprechen bricht, mit ihm am Wochenende seines Namenstages die Elefantenbabys im Zoo anzuschauen. Selbst seiner neuen Freundin kann er es nicht recht machen, wenn er das Theaterstück verpasst, auf das sie sich ein Jahr lang vorbereitet hat. Matthias zeigt sich als gereizt und gänzlich überfordert vom Alltagsleben. Das Fass droht überzulaufen, als die Geburtstagsfeier von Lukas wortwörtlich ins Wasser fällt. Ein starker Regen ruiniert die Party und als wäre das nicht schon genug, wird einer der Gäste nicht von seinen Eltern abgeholt. Als es spät wird, ist es an Matthias, den Jungen zurück nach Hause zu fahren.
Die Erzählung ist aufgeteilt in drei Kapitel. Das erste Kapitel trägt den Titel "Menschen" und skizziert Matthias Überforderung und seine mangelnden Hinlänglichkeiten als Vaterfigur. Das zweite Kapitel heißt "Katzen" und umfasst den sonderbarsten Teil des Filmes. Während Matthias den letzten Gast Julius (Finnlay Berger, Passagier 23) nach Hause fahren möchte, kommt es zu einem Zwischenfall nach dem anderen und Matthias ist gezwungen sich mit väterlicher Fürsorge um Julius zu kümmern. Dieses Kapitel wirkt bisweilen wie ein surrealer Genre-Mix: Nicht nur kommen die Film-Noir-Elemente am deutlichsten zum Vorschein, auch wirkt Julius als elfter der eigentlich nur zehn vorgesehenen Gäste in seinem Auftreten so zurückgezogenen, dass er wie eine Projektionsfläche für Matthias erscheint. Im dritten und letzten Kapitel, das unter dem Titel "Elefanten" steht, erkennt Matthias die katharsische Begegnung, die er in Julius gefunden hat, durch die er zurück zu seiner väterlichen Rolle findet,
Auch dieses Zurückfinden zur Gemeinschaft und sich selbst scheint in die aktuelle Stimmung zu passen, wenn man bedenkt, dass einige neben den vielen Unannehmlichkeiten von einem Corona-Genuss gesprochen haben, durch den sie in der Zeit der Ausgangsbeschränkungen wieder stärker zu sich und ihren Liebsten gefunden haben. Der (ungewollte) Ausbruch aus der alltagsüblichen Raserei ermöglicht einen anderen Blick auf das, was man sich sonst entgehen lässt. Regisseur Carlos Andrés Morelli spielt dabei augenscheinlich mit unserer Erwartungshaltung: Thematisch gehen wir von einer vollständigen Reinstallierung der familiären Verhältnisse aus, in der vorrangig die Widerherstellung der Ehe in den Fokus rückt. Stattdessen präsentiert uns Morelli eine Vater-Sohn-Geschichte, in der Vater und Sohn die größte Zeit voneinander getrennt sind. Während Matthias durch die Begegnung mit Julius wieder vollständig zu seinem Sohn zurückfindet, findet er in gewisserweise auch zu seiner Ex-Frau zurück. Er kann sie gleichzeitig mit einer kleinen aber feinen Geste loslassen und in ein zärtlicheres Verhältnis mit ihr übegehen.
Dass es sich hier nicht um den typischen Familienkitsch handelt, macht sich schon am Stil des Filmes bemerkbar: Eigenartig vergangen erscheint er aufgrund seines Schwarz-Weiß-Filters, vieler Bildeindrücke, die an Klassiker des Film-Noirs erinnern, und einzelner 50er-Jahre Settings, begleitet von einem Jazz-lastigen Soundtrack. Eigenartig gegenwäritig erscheint er vor allem aufgrund aktueller Settings und seiner thematischen Bezüge, die sich rundum einer Abkehr vom Familiären und einer in Wut ausbrechenden Einsamkeit präsentieren. Die Narrative vom "Menschen" (Kap. 1), über die "Katzen" (Kap. 2) bishin zu den "Elefanten" (Kap. 3) spiegelt genau das wieder: Von der kühlen Einsamkeit unter Menschen, denen man eigentlich intimer entgegen treten sollte, über den kratzigen Ausbruch, bishin zum bedächtigen Ende.