Ach die 70er-Jahre… Lavalampen, Schlaghosen, Peace-Zeichen und die Geburtsstunde einiger herrlich fieser, roher wie auch schmutziger Filmperlen, die dereinst über die Kinoleinwände flimmerten. Exemplarisch wären hierfür amerikanische Werke wie Texas Chainsaw Massacre, Ein Fremder ohne Namen, Straw Dogs oder I spit on your grave sowie „Europäer“ wie etwa Blutiger Freitag, Der Berserker oder auch der Todesmarsch der Bestien zu nennen. Allesamt gewalttätige filmische Bestien, die mit einer äußerst unangenehmen bis schmierig-dreckigen Atmosphäre aufwarten können, die nach wie vor ihresgleichen sucht. In diese illustre Runde lässt sich auch der relativ unbekannte Das Rattennest, eine Mischung aus Krimi, Thriller und Drama aufnehmen. Inszeniert wurde Das Rattennest, im Englischen übrigens als A Woman for 7 Bastards (Originaltitel Una donna per sette bastardi) betitelt, vom erfahrenen italienischen Regisseur Roberto Bianchi Montero. Bevor dieser den 1974 veröffentlichten Das Rattennest in Angriff nahm, konnte er bereits auf eine lange Schaffenszeit zurückblicken, in der er die unterschiedlichsten Genres, wie etwa den Gangsterfilm (Das Auge der Spinne), den Kriegsfilm (36 Stunden in der Hölle) oder aber auch den Western (Stinkende Dollar), mit filmischen Beiträgen bedacht hatte.
Obwohl Das Rattennest nicht in der entsprechenden Zeit angesiedelt ist, mutet Monteros Werk über weite Strecken wie ein dreckiger Italo-Western an: Ein abgelegenes, 200 Kilometer bis zur nächsten Ortschaft entferntes Kaff, welches obendrein ein kleines Goldgräberdorf ist, dessen Bauten vorwiegend aus Holz bestehen und ohne Elektrizität auskommen. Die Ankunft eines namenlosen Fremden (Richard Harrison, Der Letzte der Gladiatoren), der am Tresen stehend von argwöhnischen Augen begutachtet wird und im weiteren Verlauf nur „der Krüppel“ genannt wird. „Einwohner“, die sich weitestgehend aus (schauspielerisch toll dargestelltem) Gesindel zusammensetzen, wobei vom Raubmörder bis zum Kinderschänder so ziemlich alles vertreten ist. Mittendrin eine einzige Frau, die dauergeile Rita (Dagmar Lassander, Das Haus an der Friedhofsmauer), deren Rumhurerei wiederkehrend zu Konflikten führt, welche sie (wiederum) zu genießen scheint. Farblich ist der rund um den hölzernen Sündenpfuhl spielende Film in erdig-gedeckten Grün- und Brauntönen gehalten. Es drängt sich förmlich der Eindruck auf, dass es sich bei dem Goldgräberdorf um ein letztes Überbleibsel aus einer Zeit voller Revolverhelden, Viehtreibern, Banditen sowie Goldgräbern handelt, welches die Jahrzehnte still und leise überdauert hat. Das nahezu einzige, was einen daran erinnert, dass wir uns hier eben doch nicht in irgendeinem kleinen namenlosen Kaff im Nirgendwo des Wilden Westens befinden (von Bierdosen einmal abgesehen), ist die von den ProtagonistInnen getragene Kleidung sowie ein kleiner Lastwagen, welcher sowohl die alleinige Verbindung zur Zivilisation darstellt als auch das einzige Indiz für technische Errungenschaften der Modere innerhalb des Örtchens repräsentiert.
Und genauso wenig wie der technische Fortschritt Einzug gehalten hat, sieht es hier mit Mitgefühl oder Nächstenliebe aus. Eine Spirale der soziologischen Rückständigkeit oder wenn man denn so will, eine weitestgehende Degeneration sozialen Verhaltens wie auch gesellschaftlicher Gepflogenheiten. Will man etwas haben, so holt man es sich. Kein bitte oder danke, sondern lediglich ein „mach‘ was ich sage oder es setzt was“. Die in gleichem Maße schmierig wie abgehalftert wirkenden asozialen Charaktere scheinen lediglich, sich ihren niederen Trieben hingebend, vor sich hinzuvegetieren. So muss man schon genau hinschauen, um innerhalb der hölzernen Fassaden inmitten von Wollust, Habgier, Zorn, Misstrauen und der Bereitschaft zum Mord etwas Gutes zu entdecken. Ähnlich primitiv wie grobschlächtig fallen dann auch die für den Kampf verwendeten Hilfsmittel aus: Fäuste, Messer, Mistgabeln, ja gar Krücken kommen zum Einsatz. Dazwischen ein alter Mann, ein Stummer und eben noch ein namenloser, an der Krücke gehender Fremder, der jedoch auch nicht ganz koscher zu sein scheint. Etwaige Identifikationsfiguren spart das Drehbuch aus. Untermalt wird das Ganze immer wieder von einem äußerst gelungenen, da verspielt und abwechslungsreich klingendem Score, der nicht unerwähnt bleiben darf.
Stilistisch sowie tonal mag das durchaus ansprechend sein, doch schaut es narrativ nicht ganz so reizvoll aus. Denn das Geschehen plätschert letztlich doch etwas arg vor sich hin. Auch kommt man nicht umhin, sich irgendwann zu fragen, warum dem Neuankömmling nicht alsbald der Gar ausgemacht wird. Zumal er als Bedrohung wahrgenommen wird, dies sogar wiederholt verbalisiert wird und er schließlich nicht die erste Leiche wäre. Inhaltlich reiht sich, überspitzt formuliert, körperliche Auseinandersetzung, an sexuelle Spannung, an Wutausbruch, an sexuellen Übergriff, an Gewaltausbruch, an körperliche Auseinandersetzung. Dazwischen passiert leider nicht sonderlich viel Spannendes oder die Handlung Vorantreibendes was zur Folge hat, dass der Film erzählerisch spürbar auf der Stelle tritt. Zum Mitfiebern animiert Das Rattennest daher nicht gerade.
Erschwerend kommt hinzu, dass das Gezeigte weitaus weniger spektakulär, um nicht zu sagen „exploitativ“ bzw. ausbeuterisch ausfällt, als man es aufgrund der schmutzigen Atmosphäre in Verbindung mit den für den Exzess geradezu prädestinierten Rahmenbedingungen vermuten könnte. Meist bekommt man als ZuschauerIn dahingehend lediglich simple Schlägereien oder aber Ritas entblößte Brüste zu Gesicht. Die entsprechenden Sequenzen fallen zudem in den meisten Fällen reichlich kurz aus. Und obgleich auch mal über Leichen gegangen wird, mangelt es dem Dargebotenen schlichtweg an Nachdruck, an Drastik sowie an abschließender Konsequenz, wie sie beispielsweise ein Blutiger Freitag oder aber ein Todesmarsch der Bestien an den Tag legen. ZuschauerInnen, die bis dato allerdings wenig bis keine Berührungspunkte mit dem „exploitativen“ Charakter manch eines Ende der 60er bis weit in die 70er gedrehten (feel-terrible-)Films hatten, dürften allein aufgrund der dreckigen Atmosphäre hart genug vor den Kopf gestoßen werden, um während des einsetzenden Abspanns verdutzt zurückzubleiben.