Was wäre, wenn Der Pate nicht mit der Hochzeit der von Conny, sondern der Totenwache für Michael beginnen würde? Während Billie Holiday „Gloomy Sunday“ schluchzt versammelt sich die New Yorker Mafia-Familie Tempio im Haus des ältesten Bruders Ray (Christopher Walken, Die durch die Hölle gehen), um den Tod des jüngsten der drei Brüder, Johnny (Vincent Gallo, Trouble Every Day), zu betrauern. Dieser wurde in einer dunklen Gasse niedergeschossen und das, obwohl er sich eigentlich von den kriminellen Machenschaften seiner Familie klar distanzierte. Ganz im Gegenteil, denn als glühender Anhänger des Kommunismus stellte er sich sogar explizit gegen die Geschäfte der Tempios, die aktuell Streiks der Gewerkschaften zerschlagen. Dies führte insbesondere mit dem mittleren Bruder Chez (Chris Penn, Reservoir Dogs), einem cholerischen Hitzkopf, zu handfesten Auseinandersetzungen. Nun sind Wut und Trauer jedoch groß und noch während Johnny aufgebahrt im Wohnzimmer liegt, laufen die Rachepläne auf Hochtouren. Als der impulsive Chez kaum noch einen klaren Gedanken fassen kann, hat der nach dem Selbstmord des Vaters früh in die Rolle des Familienoberhaupts gezwungene Ray bereits einen Verdächtigen im Visier: Mafioso Gaspare (Benicio del Toro, Sicario), mit dem Johnny kurz zuvor in Streit geriet.
„Erschieß Gaspare. In seinem Vorgarten…du weißt schon…vor seinen Kindern. Vor seiner Frau!“
Der durchaus umstrittene Independent-Filmemacher Abel Ferrara (Bad Lieutenant) bleibt seinem Stil treu und inszeniert seinen zweiten Mafiafilm nach King of New York – König zwischen Tag und Nacht (1990) als abgründige, pessimistische und niederschmetternde Familientragödie, in der - wie in praktisch allen seiner Arbeiten - Schuld und Sühne eine ganz zentrale Rolle spielen. Beinah Kammerspiel-artig eingeengt in ein straffes Korsett, aus dem durch die anachronistische Erzählweise und zahlreiche Rückblenden zwar immer wieder ausgebrochen wird, aber gefühlt bleiben wir immer ganz dicht zusammen. Die bedrückende Stimmung schnürt einem förmlich die Kehle zu, während man – wie wir im Verlauf erfahren – bereits lange vorher gebrochenen Figuren nun wortwörtlich beim endgültigen, nun drastisch beschleunigten Zerfall zusieht. Denn die Geschichte der Tempios ist seit jeher geprägt von Gewalt, Tod und Vergeltung. Wie ein selbstauferlegter Familienfluch, aus dem es kein Entkommen gibt. Exemplarisch dargestellt durch den Tod von Johnny, der wie einst Michael Corleone nichts mit den düsteren Machenschaften zu tun haben wollte, nun aber Auslöser für deren endgültige Selbstdestruktion wird.
Ferrara und sein Stamm-Drehbuchautor Nicholas St. John (The Addiction) gewähren einen tiefen Einblick in einen moralisch schon vor langer Zeit pervertierten Familienclan, deren Männer sich ihrer brutalen Natur voll im Klaren sind und damit durchaus hadern, aber schon längst nicht mehr aus ihrer Haut können. Wie Gefangene in einem Hamsterrad, in dem sie sich irgendwann unweigerlich zu Tode hetzen werden, aber einfach nicht mehr den Absprung schaffen. Christopher Walken spielt dies in seiner gottgegebenen Präsenz als melancholischer Anführer, der die Folgen des unweigerlich folgenden Blutvergießens eindeutig vorhersieht, aber die Bürde des Thronfolgers in seiner unausweichlichen Konsequenz bis zum bitteren Ende führt. Nicht umsonst zählte Walken stets zu Ferrara’s Lieblingsdarstellern, über den er mal sagte, er habe mehr Talent im kleinen Finger als andere überhaupt. Die Show stiehlt ihm aber sogar der oft unter Wert verkaufte Chris Penn, der hier vermutlich die Performance seiner leider von wenigen echten Highlights geprägten Karriere hinlegt. Ein martialischer, beinah naturgewaltiger Kraftakt, voller Schmerz, Zorn und Fatalismus. Sehr wohl bewusst, dabei aber keinesfalls nutzlos im Hintergrund stehen die weiblichen Charaktere, allen voran Isabella Rossellini (Blue Velvet) und Annabella Sciorra (Tulsa King, auch als Produzentin beteiligt), die als leise Stimmen der Vernunft dezent versuchen die Geschicke ihrer Männer zu lenken, sich aber ebenso sehr wohl bewusst sind, dass sie damit maximal Schlimmeres verzögern, aber kaum aufhalten werden. Jeder kennt hier seinen Platz und somit ist es, auch für das Publikum, kaum überraschend, worin es schlussendlich münden wird. Der Weg ist das Ziel und das ist bei Das Begräbnis in seiner Qualität und Kompromisslosigkeit so auf den Punkt und schnörkellos, wie es bei Abel Ferrara nicht immer der Fall war und ist. Dadurch mit Sicherheit ein ganz großes Glanzstück seiner Vita.
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