Welcher Tod ist der angenehmste? Für Teresa (Adriana Barraza, Babel) ist es eindeutig zu ertrinken, während man bewusstlos ist – eine Einstellung, die sie wie selbstverständlich an ihre Tochter Ester (Camila Mendes, Riverdale) weitergibt. Zusammen betreiben sie eine gemütliche Frühstückspension in einer texanischen Stadt nahe der Grenze zu Mexiko und beherbergen Drogenbosse oder Kartellmitglieder, die auf ihrer moralisch fragwürdigen Reise einen kurzen Stopp einlegen müssen. Hilfe bekommen sie von dem geistig zurückgebliebenen Mann Dirk (Neil Sandilands, Neues aus der Welt), der in die dunklen Machenschaften eingeweiht ist und die beiden Frauen stumm und ergeben unterstützt.
Sara Seligman, die hier eine ordentliche Regiearbeit für ihr Debüt abliefert, zieht Inspiration aus einem echten See: Der Falcon Lake an der Grenze zu Mexiko ist Schauplatz von Piraterie und Mord – und die Kartelle stellen sich quer, wenn es um polizeiliche Ermittlungen geht. Dort herrscht das Kriegsrecht und Seligman nutzt diesen Aufhänger, um das blutdurchtränkte Leben von Teresa und Ester vor dem Zuschauer zu entfalten. Der Film beginnt und endet mit eindrucksvoller Kamerarbeit, die einen nur erahnen lassen, wie man sich an den Ufern des Sees und diesem Niemandsland fühlen muss. Kriminalität gleicht hier Normalität und die Handlungen von Mutter und Tochter werden nicht von oben herab gewertet. Wenn Schlepper, die von ihren Opfern als "Touristen" reden und Drogenbosse der Tod ereilt, so ist die Perspektive ganz klar entwertet: Routiniert und mit einer gewissen Toleranzgrenze für das moralisch Verwerfliche, hilft Ester ihrer Mutter bei allen Handgriffen. Sie trägt Männer-Kleidung, wirkt bieder und eingeschüchtert – das graue Mäuschen, das nicht auffallen darf. Ihre Mutter liebt sie, ihre Mutter will sie beschützen und irgendwann, irgendwann haben sie genug Geld von diesen Männern gestohlen und können ein neues Leben beginnen.
Die Träume beginnen zu bröckeln, als sich Paco (Andrés Vélez) und Ignacio (Manny Pérez, Das Gesetz der Ehre) gewaltsam Zutritt zur Pension verschaffen, um letzteren nach einem Zwischenfall verarzten zu lassen. Was danach passiert, ist vorhersehbar, auch wenn ein, zwei Twists beweisen, dass Seligmans Vision für diese Geschichte und wie sie zu enden hat, stabil und fest verankert war. Vielleicht etwas zu verankert, denn die Charaktere agieren teilweise zu gesteuert, Dialoge wirken nicht glaubhaft und einige Szenen existieren nur, um zu rechtfertigen, wie Handlungsabläufe sich abspielen. Mendes beweist in diesem Thriller, der zuweilen auch ein Drama sein könnte, wie nuanciert sie mit ihrer Rolle Ester spielen kann. Das unsichere, klein gehaltene Mädchen, das sich nach Freiheit und einem Ortswechsel sehnt und zeitgleich aber so abgeklärt die Gewalt in sich aufgenommen und normalisiert hat.
Der Mutter-Tochter Konflikt beschränkt sich nicht nur auf eine emotionale Ebene und ein natürlich geschaffenes Machtgefälle, sondern erweitert sich auch auf Punkte wie Herkunft, Zugehörigkeit und dem ureigenen Instinkt nach Autonomie. Ängste und Sehnsüchte werden hier generationsübergreifend aufeinander projiziert, Lügen gesponnen und Pläne geschmiedet. Ester kristallisiert sich dabei als ein vielschichtiger und ambivalenter Charakter heraus, der neben der simpleren gestrickten Rolle der Mutter brilliert. Die Frauen handeln dabei in einer patriarchalischen Welt überraschend emanzipiert – Männer sind hier lediglich Mittel zum Zweck oder Katalysatoren für das Geschehen.
Untermalt werden die Szenen musikalisch von Fabrizio Mancinellis Soundtrack, der die Atmosphäre an der mexikanischen Grenze wunderbar einfängt und die Aufnahmen der trockenen, kargen Landschaft tonal ausfüllen. Alles in allem ein solides Gesamtwerk, dessen Potential zwar nicht vollends ausgeschöpft, aber so umgesetzt wurde, dass zu keinem Zeitpunkt wirklich Langeweile aufkommt. Man darf gespannt sein, was Seligman als nächstes Projekt angehen wird.