Nach zahlreichen filmischen Interpretationen des Cinderella-Stoffes, zuletzt etwa Kenneth Branaghs 2015 erschienener Walt-Disney-Märchenfilm Cinderella, erschien die neuste Verfilmung jüngst und exklusiv bei Amazon Prime Video. Ein Filmmusical unter der Regie von Kay Cannon, namhaft besetzt mit Sängerin Camila Cabello in der Hauptrolle, Musicaldarstellerin und Interpretin des Frozen-Hits „Let it go“ Idina Menzel und ein weißhaariger Pierce Brosnan als König. Ins Singer-Songwriter*innen und Schauspieler*innen-Geflecht verirren sich außerdem Minnie Driver (Das Phantom der Oper, Jekyll Island) und Mitproduzent James Corden (Cats, Into the Woods), der mit dieser Verfilmung an die Tiefpunkte seiner Entertainer-Filmografie ansetzt.
Märchenhaft ist in Cinderella weder die Geschichte noch deren Umsetzung, weder die Aufmachung noch die Charaktere. In seinen Aussagen stimmt er progressive Töne an, präsentiert diese aber entweder so platt und hölzern, dass es schrecklich aufgesetzt wirkt oder zieht sie nicht einmal konsequent durch. Wo Cinderella auf der einen Seite als emanzipierte Frau auftritt, ist sie in einer weiteren Szene schon wieder das naive Dummchen, einerseits zeigt sie ihren ganz persönlichen Durchsetzungswillen, andererseits sind fast alle anderen Frauen um sie herum hoffnungslos einem Liebestraum mit dem Prinzen verfallen. Überhaupt scheint nichts wirklich konsistent, so wechseln auch die Stiefmutter und die Stiefgeschwister öfters ihre Gesinnungen, ohne dass man ihren Charakteren ein doppelbödiges Minenspiel andichten könnte.
Die meisten Charaktere formulieren ihre Gefühle aus, anstatt sie zu aufzuzeigen, sie schmeißen sie den Zuschauer*innen regelrecht ins Gesicht und geben sich parodistisch auf Märchen- und Musicalgenre. Die Schauspieler*innen haben zwar sichtlich Freude an ihren Rollen, zerren aber durch die (gewollte?) Trivialität ihrer Figuren zügig an sämtlichen Geduldsfäden der Zuschauer*innen. Versucht der Film trotzdem, ernsthaftere Botschaften zu übermitteln, wirkt er stark gekünstelt und auf Krampf modernisiert.
Der Film verschluckt viele Interpretationsansätze des Originalstoffes und lässt selbst den Glasschuh zu einer unnötigen Nebensächlichkeit verkommen. Er transportiert Cinderella zwar ins Moderne, ist sich aber selbst nie sicher, was er sein möchte. Märchenstimmung verbreitet er zu keinem Zeitpunkt, parodistische Elemente streut er nur hin und wieder ein, am ehesten ist er ein blank poliertes Musikvideoalbum. Musical- und Tanzeinlagen sind ein Kernelement des Films, jedoch nicht etwa zu einem originellen Soundtrack, sondern größtenteils zu Neuauflagen von Songs, die sowieso schon einmal zu viel gespielt worden sind.
Der Prinz (Nicholas Galitzine) sucht nach der großen Liebe in "Somebody to Love" von Queen, die Stieffamilie charakterisiert sich durch "Material Girl" von Madonna und beim Ball schunkeln Prinz Robert und Cinderella zu Ed Sheerans "Perfect". Immerhin überzeugen die Darsteller*innen mit ihrem Gesangstalent, ohne den Originaltiteln dadurch jedoch einen Mehrwert zu geben. Neben den halbgaren Wiederverwertungen finden sich kleinere Eigenproduktionen, die einen deutlich besseren und lebhafteren Vibe aussenden als die schon viel zu oft und in verschiedensten Kontexten verwendeten All-Time-Hits. Diesen Songs fehlt dann allerdings meist der Ohrwurmcharakter und lässt eine gewisse Nähe zu Hamilton spüren, nur ohne die textliche Raffinesse eines Lin-Manuel Mirandas im Hintergrund des Geschehens.
Wenigstens die aalglatt inszenierten und choreographierten Tanzeinlagen sitzen und lassen zwischendurch vielleicht sogar den eingefleischten Musicalfan mitwippen. Zumindest solang, bis den Zuschauer*innen die sauberen und einfach zusammengestellten Kostüme oder die zweitklassigen Mäuseanimationen ins Auge stechen. Da können selbst die ironischen Metakommentare auf das Musicalgenre den Gesamteindruck nicht heben, aber vielleicht für ein Schmunzeln sorgen. Wer darüber hinaus James Cordon dabei sehen will, wie er sich darüber freut, wie der männliche Urinablass funktioniert, darf dem Film gern eine Chance geben, alle anderen können guten Gewissens einen Bogen darum machen.