Die Welt geht vor die Hunde. Langsam. Schleichend. Dennoch für jeden unübersehbar. Obwohl die Zivilisation sich im Jahr 2027 bereits im Ausnahmezustand befindet, Kriege, Katastrophen und Elend viele Teile des Planeten (offenbar) verwüstet haben, es wird keine unmittelbare, greifbare oder eventuell noch vermeidbare Bedrohung sein, die das Schicksal der Menschheit besiegeln wird. Statt dem tendenziellen Kollaps durch eine Überbevölkerung dreht sich das Rad bei Children of Men genau anders herum bzw. ist seit 18 Jahren vollends zum Stillstand gekommen: Es werden keine Kinder mehr geboren. Können nicht mehr geboren werden. Warum? Man weiß es nicht. Eine gesamte Generation ist jetzt schon nicht mehr existent, eine Hoffnung auf Besserung ist nicht in Sicht. Wie könnte es auch sein in einer Welt, deren Fokus schon längst nicht mehr auf dem Erhalten der eigenen Art liegt, der Zug scheint abgefahren zu sein. Kapitulierend vor der unerklärlichen Situation wird sich lieber abgeschottet und versucht, die Heuchelei einer funktionellen Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Was zwangsläufig bedeutet, alles auszugrenzen, zu deportieren und zu vernichten, was ohne jeglichen, empirischen Grundsatz als feindseliges Element gebrandmarkt wird. Wir sind nicht das Problem, also müssen es die anderen sein.
Zwei Jahre nachdem der Mexikaner Alfonso Cuarón (Y tu mamá también - Lust for Life) mit Harry Potter und der Gefangene von Askaban seinen ersten, großen Hollywood-Blockbuster drehen durfte, blieb er mit dieser gleichnamigen Romanadaption nicht in der Schiene des einfach-gestrickten Mainstreamkinos, obwohl der Film natürlich alles andere als eine Nischen- oder Independentproduktion ist. Ein mit 76 Millionen Dollar ausgestattetes Big-Budget-Projekt, bei dem einem das Popcorn aber schnell im Halse stecken bleibt. Statt durchgängig kompatibler Massenunterhaltung – was in den Händen vieler Produzenten und Regisseure aus der Vorlage locker rauszupressen gewesen wäre – gelingt Cuarón der enorm schwierige Balanceakt aus durchaus salonfähigen Genrekino und tiefsinniger Dystopie über einer in den Abgrund blickenden Gesellschaft, die im Angesicht des zähflüssigen Aussterbens nichts Besseres zu tun hat als ihren Untergang noch mit wehenden Fahnen zu beschleunigen. Sich noch mehr zu entmenschlichen, als es die Natur (?) oder wer auch immer scheinbar eh schon vorgesehen hat. Die globale Epidemie der Unfruchtbarkeit könnte beinah nur als MacGuffin eingesetzt werden (so weit geht man dann doch nicht), denn letztlich betreibt der Film keine Ursachenforschung, er behandelt den Umgang mit der Situation und beschreibt Mechanismen der inzwischen erkalteten Panik und Aussichtslosigkeit, die in einem erschreckend realitätsnahen Szenario ihren Ausdruck finden.
Ein nicht nur beinah politischer Film, der sowohl damals bekannte Schock-Bildern aus Guantanamo aufgreift und fast prophetische Dimensionen erreicht in Bezug auf die aktuelle Flüchtlings-„Problematik“. Gute Science-Fiction orientiert sich meistens an entfernten, aber nicht so abwegigen Zukunftsprognosen, die im Idealfall mahnende Wirkung entfalten können und wenn Children of Men jemals wieder- oder generell entdeckt werden sollte, dann ganz bestimmt jetzt. All das findet in einem zwar entrückten Kontext statt, spiegelt dennoch (un)menschliches Gebaren wieder, wenn eine nicht zu leugnende, konkrete Bedrohung auf dem Rücken der Schwachen und Hilfebedürftigen ausgetragen wird, was keinerlei Sinn macht, nur Hass und Furcht schürt. Eine einfache „Lösung“ für ein unlösbares Problem. Neben seinem eigentlichen Mainplot, dem Kampf um eine mögliche Zukunft, zeigt Children of Men noch deutlicher wie repressiv, selbstzerstörerisch und primitiv die Gattung Mensch mit dieser umgeht. Sich lieber die Wiedergeburt der Menschheit als politische Trophäe vor das eigene Tor nageln will, anstatt wenigstens jetzt endlich an einem Strang zu ziehen. Ein Baby – DAS Baby – als Symbol vor den Karren zu spannen, bevor es die Gegenseite tut. Schlimm, dass dies gar nicht mal so abwegig ist, wie eigentlich alles in diesem Film.
Unabhängig von der inhaltlichen Tragweite, die untermauert wird von gespenstischen Momentaufnahmen (eine Grundschule wirkt wie ein verwilderter, der einsamste Ort der Welt, ein museumsreifes Relikt), beinhaltet dieses nicht actionorientiertes Werk fantastische, nahezu perfekte Actionsequenzen, die man locker als Referenzmaterial heranziehen kann. Kaum ein reiner Actionfilm kommt da mit. In der ersten Hälfte eine Sequenz, in der die Kamera wie ein blinder Passagier in einem vollbesetzten Kleinwagen ohne sichtbaren Schnitt hantiert, den Impact der Situation ungefiltert wiedergibt. Das ist natürlich eine Illusion, genauso wie die grandiose Steady-Cam-Hetzjagd während des Riot-Chaos gen Ende, dafür die perfekte Illusion. Vergleichbar mit Hitchcock’s Cocktail für eine Leiche, nur noch ausgereifter, nicht mehr mit dem bloßen Auge auch nur zu erahnen. Plansequenz oder Fake, es spielt gar keine Rolle, auch und besonders wegen dem göttlichen Emmanuel Lubezki (The Revenant – Der Rückkehrer), dessen Kameraarbeit mal wieder herausragend ist. Immer, nicht nur während der Peak Time. Über Bilder, deren transportierter Stimmung und die geschmeidigen Bewegungsabläufe, die wirken wie aus einem Guss, entfaltet sich ein unnachahmliches Mitten-drin-Gefühl, nah an der Obergrenze von moderner Cinematographie. Was Cuarón’s Gravity zu einem simpel gestrickten, aber packend vorgetragenen Event machte, ist Children of Men so locker nebenbei, nur als Teilaspekt. Das ist mal richtig beeindruckend!