Das Theater und der Kinosaal sind, trotz ihrer ähnlichen Funktion, zwei grundverschiedene Orte. Kann sich das Eine mehr auf die Präsenz der Bühne und Darsteller verlassen, muss das Andere dies mit großer Leinwand und umfassendem Sound kompensieren. Und so ist es immer eine Herausforderung beides vereinen zu wollen. Theater- bzw. Musicalverfilmungen haben genau dieses Problem: Das Problem einen schweren Medientransfer von Bühne zu Bild zu vollziehen, dem Publikum die Theateratmosphäre zu stehlen und diese mit pompösen Bildern ausgleichen zu wollen. Rob Marshalls ("Into the Woods") Verfilmung des gleichnamigen Musicals “Chicago”, über den Traum vom großen Bühnenerfolg. wagte sich 2003 mit einem interessanten Ansatz an diese Sache heran: Der Film wollte Bühne und Film verbinden, einen Hybrid aus Theater- und Kinomagie erschaffen und den Zuschauer so in seinen Bann ziehen, ohne die szeneastische Herkunft des Films dabei zu vergessen. Daher beschallt Marshall den Zuschauer auch mit immer wechselnden Sets, Stimmungen und einer wahrlich pompösen Inszenierung. Willkommen in “Chicago”.
Und trotz alledem will der Funke nicht so recht überspringen. Auf der Oberfläche ist “Chicago” wirklich außergewöhnlich schrill und verrückt geworden. Im positiven Sinne. Bei der Erzählung seiner Geschichte, welche sich um die angehende Tänzerin Roxie Hart (Renée Zellweger - "Bridget Jones") dreht, inszeniert sich “Chicago” ganz im cineastischen Stil, wie eine Mischung aus atmosphärischem Film-Noir und überzogener Mediensatire. Bei den immer wieder eingetreuten Gesangs- und Tanzeinlagen, die das Verlangen und Innenleben der Figuren übertragen sollen, wechselt der Film dann durchgehend auf die Bühne, lässt verschiedene Sets ineinander übergehen, greift zu handwerklichen Mitteln und setzt sogar ein falsches Publikum mit Ansager vor diese Bühne. Dieser Versuch Theater und Film zu vereinen ist dabei ohne Frage ein interessantes Vorhaben, am Ende bleibt aber die Frage, wie dies funktioniert. Und hier muss man feststellen: Mit Einschränkungen.
Der stete Inszenierungswechsel trägt nämlich, neben seinen oberflächlich absolut toll inszenierten und dargebotenen Tanz- und Gesangseinlagen, dazu bei die Filmimmersion zu erschweren. Und das bewirkt gerade den gegenteiligen Effekt davon, was eben erreicht werden soll. “Chicagos” Tanz- und Gesangseinlagen sind immer absolut hübsch anzusehen, sehr einfallsreich und durchaus gut gesungen, sie reißen aber viel zu selten wirklich mit. Mal ganz davon abgsehen, ob der Gesang hier wirklich einen Sinn macht, bzw. ob der Mehrwert, dem er dem Inhalt ja bringen sollte, wirklich für die Geschichte nötig ist (vermutlich nicht, aber “Chicago” ist nun mal ein Musical), hat der Zuschauer hier höchstens Spaß am Dargebotenen, aber nicht so sehr an der Musik selbst. Diese nutzt sich im Laufe des Films, aufgrund fehlender Höhepunkte und gerade Mal einem packenden Hauptmotiv, leider sehr schnell ab.
Erschwerend für die Immersion sind auch die Figuren des Films. Vor allem Zellwegers Roxie. Diese ist zwar toll gespielt, aber eben durch und durch ein narzisstisches Ego-Arschloch, welches im Laufe des Films für ihre widerliche Art nicht einmal bestraft, sondern immer wieder belohnt wird. Natürlich ist dies Teil von “Chicagos” arg augenzwinkernder Inszenierung, die vor allem ein skeptisches, überzeichnetes Bild auf das Justizsystem, als auch die Medien wirft (zwar nicht übermäßig komplex, aber doch recht sympathisch), dennoch halten die von sich selbst eingenommen und dadurch sehr ungreifbaren Figuren sehr auf emotionaler Distanz. Dazu zählt auch Richard Geres ("Movie 43") Billy Flynn.
Und das ist dann letztlich auch ein sehr großes Problem des Films: Die Figuren und die Geschichte sind zu seicht bzw. zu distanziert, als dass sie einen packen könnten und auch die Musik ist eher unterhaltsam, als wirklich mitreißend. Da kann “Chicago” so viel audiovisuellen Protz auf die Leinwand werfen, wirklich nachhaltig in den Kopf des Zuschauers graben sich höchstens Catherine Zeta-Jones (“Traffic”) aufgrund ihrer großartigen (wenn auch eher kurzen) Darstellung von Velma sowie zwei, drei sehr gelungene Einzelszenen. Und das liegt eben auch an dem Versuch Theater und Kino gewaltsam vereinen zu wollen. “Chicago” letztlich als gescheitert anzusehen, wäre dennoch zu hart. Dafür ist er zu gut inszeniert und produziert. Es bleibt aber letztlich, wie fast immer bei Musicalverflimungen, der bittere Beigeschmack, dass all das Dargebotene auf der Bühne vermutlich besser funktioniert.