Therese Belivet (Rooney Mara, »Pan«) ist jung und unentschlossen. Sie sagt selten Nein. Nicht zu der Weihnachtsmütze, die sie als Verkäuferin in der Spielwarenabteilung eines noblen New Yorker Kaufhauses tragen muss. Und auch nicht zu ihrem Freund Richard, der bereits von Heirat und einer gemeinsamen Reise nach Europa träumt, während Therese sich gar nicht sicher ist, ob sie das auch will. Ihr Leben ändert sich von Grund auf, als eines Tages Carol Aird (Cate Blanchett, »Der Hobbit - Die Schlacht der fünf Heere«) vor ihr steht: eine Kundin im Kaufhaus, die ein Weihnachtsgeschenk für ihre kleine Tochter sucht. Dem Charme der älteren, mondänen Frau kann Therese sich nicht entziehen, und als Carol nach der Bestellung ihre Handschuhe auf dem Tresen liegenlässt, trifft Therese eine folgenschwere Entscheidung, die zu einem Wiedersehen mit Carol führt … und letztlich zu einer gemeinsamen Reise, die quer durch die USA Richtung Westen führt.
»Carol« basiert auf Patricia Highshmiths Roman »The Price of Salt«, der 1952 erschien — zunächst unter Pseudonym, denn ein Buch mit einer lesbischen Liebesgeschichte im Fokus war damals ein Wagnis. Dennoch (oder gerade deswegen) wurde das Buch ein Bestseller. Später machte sich Higshmith vor allem als Thrillerautorin einen Namen, das Frühwerk um Carol und Therese soll von einer Begegnung mit einer Fremden inspiriert sein, welche die Autorin während einer Aushilfetätigkeit in einem Kaufhaus traf … und im Fieber einer drohenden Krankheit weiterspann.
Getragen wird »Carol« ganz zweifellos von den beiden Hauptdarstellerinnen. Cate Blanchett brilliert mit sprödem Charme in der Titelrolle: Carol Aird, die den Ausbruch aus ihrer Zweckehe sucht, an dem sie bislang nur die Liebe zu ihrer kleinen Tochter hindert. Abseits davon ist Carol eine Frau, für die alles möglich scheint. Rooney Mara hingegen spielt überzeugend die sanfte, zunächst unsicher wirkende Therese Belivet, die sich in der Beziehung zu Carol zunehmend hin zu einer entschlossenen Frau entwickelt, welche Entscheidungen trifft und Verantwortung für ihr eigenes Leben übernimmt. Wie beide Schauspielerinnen vieles mit Blicken und Gesten vermitteln, ist wirklich eines der Glanzlichter des Films.
Eingebettet ist das alles in das Lebensgefühl der 50er Jahre, eine Kulisse, die mit viel Liebe zum Detail in Szene gesetzt wird. Der Film nimmt sich Zeit, die Annäherung zwischen den beiden ungleichen Frauen zu erzählen, es lohnt aber, sich auf sein Erzähltempo und seine ruhige Stimme einzulassen. Die Liebe zwischen Carol und Therese entwickelt sich konsequent, aber unaufgeregt, und flankiert werden die zwei Frauen von einer Reihe von Nebendarstellern, die selbst plastisch wirken: Carols Mann Harge (Kyle Chandler, »The Wolf of Wall Street«), der seine Frau um jeden Preis halten will, ihre langjährige Freundin Abby (Sarah Paulson, »12 Years a Slave«), die ihr den Rücken freihält, oder auch der Kreis von Thereses Bekanntschaften wie ihrem Freund Richard oder dem jungen Zeitungsmitarbeiter, mit dem sie sich zaghaft anfreundet. Das alles sorgt dafür, dass »Carol« ein atmosphärisch dichter und stimmiger Film ist, der über seine starken Charaktere funktioniert und dabei kaum Längen aufkommen lässt.
Schwächen offenbart »Carol« denn auch weniger in Sachen Erzähltempo oder Narrative, sondern in der Dringlichkeit der Konflikte. Die Zutaten dafür sind vorhanden: Carols Ehemann droht ihr mit dem Entzug des Sorgerechts, wenn sie weiterhin lesbische Beziehungen pflegt. Das zwingt Carol, sich zwischen ihrer Tochter und ihrer Liebe zu Therese zu entscheiden. Gemeinsam mit den möglichen Ressentiments der 50er-Jahre-Gesellschaft wäre damit alles an Ort und Stelle, um auch in sanftem Tonfall eine gewisse Sogwirkung und Spannung zu entfalten. Doch hier steht sich der Film mit seinem Fokus auf Gelassenheit und gedämpfte Töne selbst im Weg: Trotz aller Maßnahmen, die Carols Mann gegen das Glück seiner Frau ergreift, und trotz der Tatsache, dass Carols enge Bindung an ihre Tochter durchaus glaubhaft in Szene gesetzt ist, fühlt sich der Konflikt niemals wirklich machtvoll und bedrohlich an. Das fällt »Carol« auf die Füße, denn wo die Dringlichkeit nicht spürbar wird, sind auch die Handlungen der Figuren nicht mehr völlig nachvollziehbar.
Entsprechend schwächelt der Film gerade auf den letzten Metern, wo einiges zu unvermittelt geschieht und die Figurenentwicklungen nicht mehr mit der gleichen plausiblen Sorgfalt erfolgen wie in der bisherigen Handlung. Während Therese hier noch weitgehend glaubwürdig bleibt, erscheint die Distanz zu Carol mit einem Mal zu groß, und die Auflösung ihres Dilemmas — eine großartig und eindringlich gespielte Szene — verschenkt denn auch an Potenzial, weil die Bedrohung zuvor nie spürbar genug war.
Davon einmal abgesehen ist »Carol« ein sehenswerter Film, wenngleich klar sein sollte, dass der Fokus auf der Charakterentwicklung und der Beziehung zwischen Figuren liegt. In dieser Hinsicht macht »Carol« so gut wie alles richtig und erzählt eine unaufdringliche und dennoch warmherzige Liebesgeschichte, in deren Verlauf sich beide Frauen grundlegend weiterentwickeln.