"And they descended upon the Earth to strengthen their ranks."
Alex van Warmerdams „Borgman“ war seit 38 Jahren der erste niederländische Beitrag im Hauptwettbewerb von Cannes und wurde von Kritikern durchweg positiv aufgenommen. Das war allerdings schon 2013 und erst jetzt wurde das verstörende Werk bei uns für den Heimkinomarkt veröffentlicht. „Borgman“ ist ein Film, der eindeutig die Handschrift des Autors und Regisseurs Alex van Warmerdam trägt, enthält er doch den typisch sarkastischen Humor, den man bereits von seinen anderen Filmen kennt. Dieses Mal jedoch geht van Warmerdam noch einen Schritt weiter und wagt sich in dunklere, ja geradezu beunruhigende Gewässer.
Ganz im Fahrwasser von Filmen wie „Dogtooth“ oder „Funny Games“ zeigt „Borgman“ das pure Böse, dass ohne ersichtlichen Grund in den Alltag einer Familie dringt und diese an den Rand des Abgrunds schiebt. Dafür nimmt sich der Regisseur alle Zeit der Welt, denn die Geschichte entwickelt sich sehr behäbig. Trotzdem ist die ständig präsente und schwer greifbare Bedrohung auf ihre Art sehr fesselnd und originell, schwer vorhersehbar und wird jeden Zuschauer am Ende sicherlich ratlos zurücklassen. Zu skrupellos und irrational bahnt sich das Böse hier seinen Weg.
Die Handlung an sich ist eigentlich schnell zusammengefasst. In einer grandiosen Eröffnungszene folgt man einem Priester und zwei weiteren Männern in den Wald. Da werden noch schnell ein Pflock geschärft und die Waffen nachgeladen, bevor die Hunde die Fährte aufnehmen. Tief unter dem Waldboden kauert ein verdreckter Mann (Jan Bijvoet) in einer selbst erbauten Höhle. Die Hunde schlagen an und nur knapp kann er einer Speerspitze, mit welcher der hohle Boden durchlöchert wird, ausweichen und entkommt durch einen Geheimgang. „Jemand hat uns verraten“ flucht er und warnt seine Mitstreiter Pascal (Tom Dewispeleare) und Ludwig (van Warmerdam), die sich ebenfalls wie Vampire in grabähnlichen Unterständen im Waldboden versteckt halten.
Dreckig, verwahrlost und abgehärmt flüchtet der unbekannte Fremde, der sich zuerst Anton und später Camiel Borgman nennt, in einen noblen Vorort von Amsterdam und klopft in aller Ruhe an fremde Türen großer Villen, um nach einem Bad zu fragen. Dabei bekommt er eine abrupte Ablehnung vom jähzornig agierenden Geschäftsmann Richard (Jeroen Perceval), der ihn brutal zusammenschlägt, nachdem Borgman darauf besteht, dass er Richards Frau Marina (Hadewych Minis) kennen würde, was diese jedoch verneint. Richard ist eindeutig kein sympathischer Typ, doch bei Borgman scheint sich sein ureigener Instinkt zu melden, der ihm mitteilt, dass hier direkt vor seiner Haustüre eine Bedrohung lauert.
Anstatt die Flucht zu ergreifen oder weiterzuziehen, kehrt Borgman jedoch immer wieder zurück…
Produktionsdesigner Geert Paredis findet hier eine brillante Ausgangslange für die nun folgenden unheilvollen Ereignisse vor. Die leicht abgelegene und hinter einem Wald versteckte Villa entfaltet in ihrer Zurückgezogenheit eine vage Verwandtschaft zu Michael Hanekes „Funny Games“. Richard und Marinas Heim ist ein kastenartiger Architektentraum. Alles hat klare Kanten, wirkt sauber und steril. Bilder, die von Kameramann Tom Erisman wirklich eindrucksvoll in Szene gesetzt wurden.
Zurück zur Handlung: Nachdem sich der kürzlich zusammengeschlagene Borgmann in der Garage versteckt hält und von Marina entdeckt wird, nimmt sich diese, reumütig über das rüde Verhalten ihres Mannes, dem verwahrlosten Mann an, erlaubt ihm ein Bad zu nehmen und richtet ihm im Gästehaus ein Bett zu Recht. Zumindest, so plant sie, bis er sich von seinen Verletzungen erholt hat. Nach und nach gerät sie in den Bann des Unbekannten und anstatt ihn fortzuschicken, scheint die neue Gesellschaft ihr Leben auf eine unheimliche Art und Weise zu bereichern. Ihr Mann Richard weiß davon freilich nichts und so scheint Marina geradezu Freude daran zu empfinden, dieses Versteckspiel mit ihrem dominanten und eifersüchtigen Mann zu treiben. In Absprache mit Marina bewirbt sich Borgman frisch rasiert und mit neuer Identität um den Job des Gärtners auf dem riesigen Grundstück. Mit Hilfe der beiden eiskalten Gehilfinnen Brenda (Annet Malherbe) und Ilonka (Eva van de Wijdeven) hat man den ursprünglichen Gärtner sowie dessen Frau lautlos im See entsorgt. Ausnahmsweise einmal nicht mit den typischen Zementschuhen, wie man sie aus Mafiafilmen kennt, sondern mit Zementköpfen, was für netten Galgenhumor sorgt.
Dass Marina alles geschehen lässt und über das Schicksal des langjährigen Gärtners Bescheid weiß und ihre kleine engelhafte Tochter Isolde (Elve Lijbaart) bei der Beseitigung hilft, ist sowohl lustig als auch beunruhigend.
Nach einem schleppenden Start nimmt der Film erst im Mittelteil eine sehr packende Entwicklung. Borgman erlangt über seinen unterschwelligen Geist nach und nach die Kontrolle über Marina sowie ihrer drei kleinen Kinder und schließlich auch über Richard. Das Böse breitet sich aus wie ein Virus, das von allem Besitz ergreift. Auch Ludwig und Pascal dringen als Hilfsgärtner, die unbehelligt den ganzen Garten umgraben, in das behütete Familienleben ein, wobei letzterer ein perfides Spiel mit dem dänischen Kindermädchen Stine (Sara Hjort Ditlevsen) treibt.
Der Grundaufbau der Handlung erinnert noch am ehesten an einen typischen Home-Invasion-Thriller und es läge nicht fern, den Film als eine Art Kritik an den Wohlstandsbürgern und deren Selbstzufriedenheit zu bezeichnen. Jedoch hat „Borgman“ einen übernatürlichen Unterbau, der sich erst bei genauerem Hinsehen und Hinhören erschließt. Traum und Realität gehen oft übergangslos ineinander über, weshalb die Geschichte nicht für „Zwischendurch“ geeignet ist, sondern viel Aufmerksamkeit erfordert. Während herkömmliche Erzählregeln vorschreiben, dass im Laufe der Handlung Antworten geliefert werden, bäumt van Warmerdam einen Berg von Geheimnissen auf, die ungeklärt bleiben. Da wären zum Beispiel chirurgische Eingriffe, die Borgman und seine Gefährten an den Kindern sowie ihrer Nanny durchführen und sie somit gefügig und zu neuen Rekruten machen. Man könnte zuerst meinen Organhändler wären am Werk, aber da es immer wieder Anspielungen auf die Bibel gibt, ist da natürlich viel mehr im Spiel, wirken viele Bilder doch sehr surreal und die Eindringlinge wie Mitglieder einer satanischen Sekte, die die Familie infiltrieren und die absolute Kontrolle über sie gewinnen. Allein Borgmans Name Camiel bietet viel Stoff für Interpretationen, wie es sie mittlerweile auch zuhauf im Internet gibt. Camiel hieß Gottes siebter Erzengel, der Adam und Eva aus dem Paradies vertrieb.
Unheimlich auch die Szenen, wenn die Kamera immer wieder große und wachsame Hunde einfängt, die im Auftrag des fremden Besuchers durch Haus und Hof streifen und beobachten, wie die heimtückischen Eindringlinge ihr Unwesen treiben. Das erinnert nicht selten an Klassiker wie „Das Omen“. Van Warmerdam meidet es jedoch in allzu offensichtliche Horrorklischees abzudriften und entfaltet so eine spannende und bedrückende Geschichte, über die sich eine Art dunkles Mysterium legt.
Schauspielerisch ist das Ganze übrigens durchweg sehr stark, vor allem der flämische Schauspieler Bijvoet macht einen klasse Job. Mit seiner reservierten Art und der ausdruckslosen Miene stellt er wahrhaft eine charismatische Galionsfigur für den Marsch des Bösen dar.