Die zweite Woche von Moviebreaks Noirvember bricht an. Die Zeit der Klassiker ist vorbei. Bühne frei und Vorhang auf für vergessene Perlen, unbekannte Meisterstücke und jene Filme, die in den ihnen immanenten Schatten verschwunden sind. Es ist die Woche der Geheimtipps. Gleich zu Beginn steht ein Werk des später legendär gewordenen französischen Regisseurs Jean-Pierre Melville (Le Samourai, Vier im roten Kreis). Dessen erster Film, der sich mit den grauen Zügen der Unterwelt beschäftigt, stammt aus dem Jahr 1956 und heißt im Original Bob le flambeur. In den deutschen Verleih kam der Film anno dazumal unter dem schneidigen Titel Drei Uhr nachts. Wenn man weiß, dass der Film sich aber um eine andere Uhrzeit dreht, um die Fünfe nämlich, dann ist das schon durchaus belustigend. Aber immerhin stehen und fallen Filme nicht mit ihren Titeln.
Der Film beginnt auch direkt zu dieser ominösen Uhrzeit; dieser Zeit zwischen Tag und Nacht, wo alles nichts ist und im Nichts alles lauern kann. Fünf Uhr nachts, wenn die Leere der Straßen ein Spiegelbild für das Innenleben der Figuren ist, die noch durch die dunklen Straßen wandern. Wenn die einen den Tag beenden und die anderen schon den nächsten beginnen. Bob ist so eine Nachtgestalt, der stets ein paar Stunden hinter allen anderen lebt, zurückgezogen, auf der Hut, mit dem Wissen im Hinterkopf, in was für eine Welt Kriminelle gesteckt werden können, wenn sie einen einzigen Fehler begehen. Auf den Straßen, wo sich niemand gegenseitig grüßt, geschweige denn anguckt. Wo Persönlichkeit hinter eiskalten Fassaden verschwunden bleibt. Wo Gut und Böse sich ineinander verschränken. Immer wieder nennt der Erzähler der Geschichte Eigenschaften, die nicht miteinander vereinbar sind. Der junge alte Herr, das heilige Herz der Stadt, in der sich Himmel und Hölle vereint. Die Stadt macht es einem schwer, sich zu orientieren. Bob weiß das.
Bob, wunderbar blond und stechend gespielt von Roger Duchesne, der in der nächtlichen Stunde der Dämonen von Spieltisch zu Spieltisch zieht, und dabei seine graubunte Vergangenheit im Konflikt mit dem Gesetz und seinen klaren Wertekodex hinter sich herzieht. Ein Kodex, der nur etwas wer ist, wenn er bedingungslos auf alle Menschen angewandt wird, auf die Bob trifft. Auf die Feinde, auf die Freunde, auf die Unbekannten. Bob versucht so über die erste halbe Stunde des Films, seine Nase hübsch aus den kriminellen Angelegenheiten anderer herauszuhalten. Bis auch ihm das große Geld winken könnte, und der Reiz für den berühmt-berüchtigten letzten Coup einfach zu groß wird. Hier verschiebt sich das Gefüge in ihm und um ihn herum. Er wird aktiv, wandert nicht nur durch die Straßen, er geht seinem Ziel nach und zieht damit immer mehr Menschen um sich herum mit in seinen Kosmos aus Gier und Kriminalität. Ein Strudel, in dem er sich selbst zu verlieren droht, in dem er seiner Sucht zu erliegen droht. Opfer seiner dunklen Seite wird und dort verweilt, wo alles im Nichts verschwimmt. Diese Zeit zwischen Tag und Nacht, wo gebrochene Versprechen das Leben kosten können.
Jean-Pierre Melvilles Film gilt als einer der Vorgänger des modernen Heist-Films und als großer Einfluss auf die Entwicklung der französischen Nouvelle Vague. So war Jean-Luc Godard ein großer Fan des Films. Kein Wunder, treibt Melville hier von Beginn an ein großes Spiel mit den Perspektiven. In einer Szene, in der ein Wagen morgens den Schmutz von den Straßen spült, Ort und Protagonist etabliert werden, vereint der französische Regisseur, der sich im Abspann bloß mit Melville aufführen lässt, uramerikanischste Eigenschaften des Filmemachens (Mickeymousing) und wilde Achsenspiele des eher europäischen Kinos. Und dennoch ist dieser Film von Melville eher dem klassischen Noir der Schwarzen Serie zuzuordnen, als dem modernen und selbstbewussten Film des französischen Kinos der 60er Jahre.