Erst vor etwas weniger als einem Monat begingen die Norweger einen Nationalfeiertag zu Ehren der wohl größten historischen Persönlichkeit, die ihr Land hervorgebracht hat: Am 15. Dezember 1911 setzte der Polarforscher Roald Amundsen erstmals den Fuß in die Antarktis und besetzte nach anderthalbmonatiger Expedition den südlichsten Punkt der Erde mit der norwegischen Flagge. Damit behauptete sich das zu dieser Zeit noch nicht unabhängige Land gegen die Weltmacht England und deren Marine, die unter Robert Scott beim Wettlauf zum Südpol schlussendlich das Nachsehen hatte und verewigte sich weit über die eigenen Landesgrenzen hinaus im Weltgeschehen. Doch galt Amundsen, für den dieser Durchbruch längst nicht erste und einzige Abenteuerreise war, bereits zu Lebzeiten als alles andere als unumstritten.
Und so kann man von ausgehen, dass die Auseinandersetzung mit diesem Nationalhelden für das norwegische Regie-Duo Espen Sandberg und Joachim Rønning von Anfang an durchaus ein Herzensprojekt darstellte. Schließlich haben beide mit Kon-Tiki bereits ein Werk vorzuweisen, das dem Abenteurer Thor Heyerdahl ein filmisches Denkmal setzte und beide anschließend sogar für den fünften Teil der Pirates of the Caribbean – Reihe, Salazars Rache, kurzzeitig in Hollywood-Gestaden anlegen ließ. Dabei schien besonders Joachim Rønning den Geruch des großen Blockbusterkutters Disney eingeatmet zu haben, sodass er für diesen lieber das Sequel Maleficent: Mächte der Finsternis inszenierte und seinem langjährigen Regiepartner bei Amundsen damit erstmals allein das Ruder überließ. Tatsächlich bemerkbar macht sich das allerdings im fertigen Film nicht wirklich, was möglicherweise auch darauf zurückzuführen sein könnte, dass beide in ihrem bisherigen Schaffen keine sonderlich markante Regie-Handschrift durchschimmern ließen.
Wer sich allerdings, von Kon-Tiki ausgehend, unter Amundsen möglicherweise ein ähnlich bildgewaltiges Abenteuer in der Antarktis vorgestellt hatte, der dürfte spätestens ab der Hälfte spürbar ernüchtert sein. Denn anders als es der deutsche Verleih-Zusatztitel „Wettlauf zum Südpol“ suggerieren mag, verhandelt der Film nicht etwa hauptsächlich die bahnbrechende Expedition, sondern mehr oder weniger das gesamte Leben des eigenwilligen Polarpioniers. Das mag zwar an für sich nicht völlig verkehrt sein und auf dem Papier sogar seine Richtigkeit haben, um der Person Amundsen gerecht zu werden, leider nur hapert es merklich an der Umsetzung. Denn dafür, dass die Exkursion zum Nordpol, die Amundsen auf eigene Faust und gegen den Willen seiner Gönner kurzerhand genau in die entgegengesetzte Richtung unternahm, zweifellos so ein einschneidendes Erlebnis in dessen Leben gewesen sein soll, widmet der Film diesem erstaunlich wenig Zeit. In gerade einmal schätzungsweise 20 Minuten hakt Amundsen die beschwerliche Reise zum Südpol ab und stellt diese obendrein auch noch als vergleichsweise reibungslos dar. Munter springt man vom zeitlichen Ablauf der Tagesetappen dabei auch schon mal von Tag 1 zu Tag 20 zu Tag 45, wo Amundsen und sein Gefolge dann schließlich irgendwo im vereisten Nirgendwo verharren und erst registrieren müssen, dass sie gerade Geschichte geschrieben haben. Espen Sandberg kann zwar das seltsam unausgewogene Drehbuch von Ravn Lanesskog (The Last King) mit durchaus beeindruckenden Schauwerten kaschieren, irritierend wirken diese dramaturgischen Schwerpunkte aber besonders für jene Zuschauer, die weniger mit Amundsens Werdegang vertraut sind als der Durchschnittsskandinave.
Dass Amundsen also nach der knappen Exkursion in die Antartkis doch eher den Pfad klassischer Biopics einschlägt, wäre aber noch durchaus verschmerzbar, wenn der Film über die restlichen 75 Minuten Laufzeit besser funktionieren würde, geschweige denn etwas wirklich Aufregendes oder Spannendes zu erzählen hätte. Erneut: das von weiteren Abenteuerexpeditionen geprägte Leben Amundsens wäre absolut reizvoller filmischer Stoff, zumindest in der Theorie. Nur leider scheitert auch Amundsen daran, wo sich viele andere Biopics, trotz überzeugender Hauptdarsteller, oftmals die Zähne ausbeißen. Denn obwohl uns der Film wie aus dem Lehrbuch über den Werdegang aufklärt, anfangs auch mit Rückblicken in die Kindheit, bekommt er dabei die Persona Amundsen nie so wirklich zu fassen, geschweige denn der Zuschauer. Da kann sich Pål Sverre Hagen (Pferde stehlen), der Amundsen dank verblüffend gelungenem Make-Up in nahezu allen Lebensstadien verkörpert, noch so sehr abmühen, wenn Skript und Regie es ihm sichtlich erschweren, an uns zu appellieren.
Es ist dabei keineswegs so, dass Amundsen seinen Titelhelden zur unantastbaren Ikone verklärt, nur bleibt die Offenlegung seiner Rücksichtslosigkeit gegenüber den eigenen Männern vielfach vage oder schlicht Behauptung. Amundsen steht hier über weite Strecken als der exzentrische Träumer da, der nur deswegen obsiegen konnte, weil er sich von den Inuit inspirieren ließ, indem er Schlittenhunde, die irgendwann als Nahrungsquelle herhalten mussten, und Fellkleidung verwendete, um den Engländern überlegen zu sein. Völlig ausgespart wird dagegen sein politisches Engagement, wie etwa die scharfe Kritik am U-Boot-Einsatz des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg, die sogar in der Rückgabe einer Auszeichnung des Kaisers Wilhelm II. an die deutsche Botschaft in Oslo mündete.
Aber auch abseits solcher Auslassungen, gestaltet sich Amundsens Privatleben in Filmform reichlich dröge. Nur selten findet der Film Bilder oder Momente für das Innere des Eigenbrötlers oder etwas menschliche Wärme. Während die Beziehung zu seiner späteren Frau Kiss Bennett (Ida Ursin-Holm) kaum mehr als eine erzählerische Randnotiz ist, fällt die Rolle von Katherine Waterston (Phantastische Tierwesen: Grindelwalds Verbrechen) sogar noch undankbarer aus. Als noch mit Abstand bekanntestes Gesicht darf sie hier über einen Großteil der Laufzeit in der eigentlichen Rahmenhandlung buchstäblich herumlungern, um dann als bis dahin völlig unerklärte Figur kurz vor Schluss noch für etwas späten Herzschmerz und eine krude Dreiecksdynamik zu sorgen. Allein das Verhältnis zwischen Amundsen und seinem Bruder Leon, der dessen immer kostspieligere Unternehmungen über Jahre hinweg hauptsächlich finanzierte, liefert zumindest ein wenig dramatische Fallhöhe. Und wenn man sich nun vor Augen führt, dass Amundsen über seine Titelfigur auch vom Zerwürfnis zweier Partner wegen Ruhm und Geld erzählt, kann das dem bisweilen zähen Streifen wenigstens noch einen, wenn auch wohl völlig unfreiwillligen Metatext zu dessen Entstehung entlocken.